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Ist das nun Massenüberwachung?

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Der Streit um das neue Nachrichtendienstgesetz ist auch ein Streit um Begrifflichkeiten.

Philipp Loser, Tagesanzeiger

Der einfachste Weg, um sieben teils langjährige Parlamentarierinnen und Parlamentarier so richtig wütend zu machen, geht so: Man gebrauche nach einer Medienkonferenz zum neuen Nachrichtendienstgesetz (NDG) in seiner Frage das Wort «Massenüberwachung». Einmal genügt, damit alle wild durcheinanderschreien. «Sie haben das Gesetz nicht gelesen!» (Ständerat Alex Kuprecht, SVP, SZ) - «Nein! Nein! Nein!» (Nationalrätin Ida Glanzmann, CVP, AG) - «Das stimmt einfach nicht!» (Nationalrätin Rosmarie Quadranti, BDP, ZH).

Stimmt es tatsächlich nicht? Sicher ist: In den letzten zwei Wochen vor der Abstimmung hat die Debatte rund um das Nachrichtendienstgesetz doch noch etwas an Temperatur zugelegt. Der Streit zwischen Befürwortern und Gegnern, das zeigte auch die «Arena» von vergangener Woche, ist zu einem Streit um Begrifflichkeiten geworden. Sagen wir mit dem Ja zur Kabelaufklärung auch Ja zu einer «verdachtsunabhängigen Massenüberwachung», wie das die NDG-Gegner behaupten?

Befürchtung: Sämtliche Kommunikation gescannt

«Für uns beginnt die Massenüberwachung mit der Datensammlung», sagt Juso-Präsidentin Tamara Funiciello. Die Sammlung sei nötig, um überhaupt nach Stichworten suchen zu können. Hernani Marques vom Chaos-Computer-Club braucht einen Vergleich aus der analogen Welt. Mit der Kabelaufklärung werde künftig unsere sämtliche Kommunikation gescannt: «Das ist gleich, wie wenn man alle Briefe möglichst unauffällig öffnen und auf Stichworte durchsuchen würde. Jeder Brief würde geöffnet, aber auf jeden Fall ins Couvert zurückgesteckt und weitergeschickt. Unbemerkt würde jeder Brief kopiert, in dem die Stichworte vorkommen. Was ist denn das, wenn nicht Massenüberwachung?» NDG-Befürworter Beat Flach (GLP, AG) stimmt der Briefanalogie zu. Er spreche aber lieber vom «Röntgen» statt vom «Öffnen» der Briefe, und ganz sicher spricht er nicht von einer möglichen «Massenüberwachung». Das Wort ist für die Befürworter des Gesetzes tabu.

Behörden: Nur Sicherheitsrelevantes

Dabei ist der Schluss eigentlich naheliegend. 2003 schrieb die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) der Räte über die Funkaufklärung Onyx (die nach dem gleichen Prinzip funktioniert wie die Kabelaufklärung): «Onyx ermöglicht eine Massenüberwachung von Kommunikationen.» Seither sei viel geschehen, entgegnet Alex Kuprecht, ein aktuelles Mitglied der GPDel, und überhaupt: Entscheidend sei heute das aktuelle Nachrichtendienstgesetz, und dieses führe nicht zu einer Massenüberwachung.

Das sieht auch Verteidigungsminister Guy Parmelin so, er sagte es mehrfach in der «Arena», genauso wie Geheimdienstchef Markus Seiler. In den Erläuterungen des Verteidigungsdepartements zum Gesetz heisst es: «Bei der Kabelaufklärung dürfen nur jene Informationen bearbeitet werden, die vorher definierten Suchbegriffen entsprechen und sicherheitspolitisch relevant sind. Somit findet auch im Bereich der Kabelaufklärung keine Massenüberwachung statt, sondern eine zielgerichtete, gerichtlich genehmigte Suche nach sicherheitspolitisch relevanten Informationen.»

Es würden Ressourcen fehlen

Der Nachrichtendienst habe gar nicht die Ressourcen, um eine Massenüberwachung der Bevölkerung vorzunehmen, sagt Nationalrätin Corina Eichenberger (FDP, AG) und verweist auf die klar definierten Suchworte, die garantieren sollen, dass nur jene Informationen weitergeleitet werden, die tatsächlich auch von geheimdienstlicher Relevanz sind. «Die Snowden-Enthüllungen haben gezeigt, dass in den USA und Grossbritannien viele Leute unnötig hängen geblieben sind. Unsere strikte Bewilligungspraxis wird verhindern, dass das auch bei uns passiert.» Ständerat Alex Kuprecht illustriert an der Medienkonferenz mit zwei wild an den Ohren vorbeischiessenden Händen, wie unsere Daten unberührt am Geheimdienst vorüberflitzen (und nicht gesammelt werden), und auch Nationalrat Beat Flach (GLP, AG) will lieber von den Kontrollen danach als von der Filterung zuvor sprechen. Man habe alle möglichen Sicherungen eingebaut, damit unbescholtene Bürger nicht ins Visier des Nachrichtendiensts geraten. Aber ja, es stimme schon: «Alles geht in Zukunft zuerst durch den Filter des NDB. Aber ist das wirklich so furchtbar?»

Es ist die Antwort auf diese Frage von Flach, die den Befürworter vom Gegner des neuen Nachrichtendienstgesetzes trennt. Und das ziemlich unversöhnlich.

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