Beschwerde gegen Polizeigesetz Zürich teilweise gutgeheissen

30. September 2009

Zürcher Polizei muss auf Big Brother verzichten

Das Bundesgericht hat dem Kanton Zürich am Mittwoch eine Niederlage verpasst. Es befand, dass das bereits in Kraft gesetzte Polizeigesetz nachträglich zu ändern sei, weil es der Verfassung widerspreche.

Komplett streichen muss der Kanton Zürich die Bestimmungen über Videoüberwachung. Diese seien viel zu vage und ohne Einschränkungen formuliert, fanden die Richter. So gebe es beispielsweise keine Angaben über Sinn und Zweck einer Überwachung, keine räumliche Einschränkung und keine Information darüber, wer die Überwachung mit Kamera, Drohne oder Mikrofon durchführen dürfe.

Kritisiert wurde auch der Artikel über die Aufbewahrungsdauer der Daten. Die im Zürcher Polizeigesetz verankerten 12 Monate sind für die Richter «eine viel zu lange Zeit». Sie legen Zürich nahe, sich am Kanton St. Gallen zu orientieren: Dort müssen die Daten per Bundesgerichtsurteil nach drei Monaten gelöscht werden.

Der Kanton Zürich hat somit seit Mittwochmittag keine rechtliche Grundlage mehr, um Video- oder Tonüberwachungen durchzuführen. Der ganze Paragraf 32 verliert per sofort seine Gültigkeit.

Kontakt zum Haftrichter muss erlaubt sein

Auch beim polizeilichen Gewahrsam gingen die Richter mit den Beschwerdeführern einig: Der Gewahrsam (nicht zu verwechseln mit Untersuchungshaft) wird zwar nach 24 Stunden ohnehin aufgehoben, der Kontakt zum Haftrichter muss gemäss Bundesgericht aber jederzeit möglich sein.

Im Zürcher Polizeigesetz war dieser Kontakt nicht vorgesehen, was laut Urteil gegen die Bundesverfassung verstösst. «Für den Betroffenen, dem die Hände auf den Rücken gebunden sind, ist es aber wichtig, diese Möglichkeit zu haben, und dies jederzeit», betonte einer der Richter. «Es geht hier um das Vertrauen des Bürgers in den Staat.»

Alle anderen der insgesamt 15 Punkte wurden abgelehnt, darunter auch der von den Beschwerdeführern kritisierte Waffengebrauch bei Fluchtgefahr, die überall und jederzeit möglichen Personenkontrollen und die Hausdurchsuchung ohne richterlichen Beschluss. Diese Punkte würden alle der Verfassung entsprechen, fand das Gericht.

Kanton: Urteil nicht überraschend

Für Irène Schwitter-Bandli, Sprecherin der Zürcher Sicherheitsdirektion, kommt das Urteil nicht überraschend. «Wir wussten, dass die Bestimmungen über die Videoüberwachung sehr allgemein formuliert waren», sagte sie. Es hätten tatsächlich Einschränkungen gefehlt. Wie man nun weiterfahre, sei noch unklar. Was den Kontakt zum Haftrichter während der 24-Stunden-Gewahrsam betrifft, konnte Schwitter-Bandli noch keine Einschätzung abgeben. Man müsse das jetzt ins Gesetz aufnehmen und werde sehen, was das in der täglichen Polizeiarbeit für Auswirkungen habe.

«Unsere Beschwerde war richtig»

Die Beschwerdeführer reagierten erfreut. «Es war richtig, dass wir diese Beschwerde gemacht haben und es hat etwas gebracht», sagte Viktor Györrfy, der Verfasser der Beschwerde, nach der Urteilsverkündung.

Ganz einig ist er mit den Bundesrichtern allerdings nicht. So bemängelt Györrfy, dass die Richter zwar in mehreren Fällen das Polizeigesetz gemäss Verfassung ausgelegt hätten, also kleine Einschränkungen vorgegeben hätten. «Diese Einschränkungen sollten aber nicht nur im Urteil stehen, sondern auch im Gesetz.» Die wenigsten Polizisten hätten bei ihrer täglichen Arbeit nämlich das Bundesgerichts-Urteil im Kopf. Konkret meint er den Paragrafen 21 über Identitätskontrollen, die für ihn nun immer noch Gelegenheit für Schikane bieten.

Das Zürcher Stimmvolk hatte das Polizeigesetz am 24. Februar 2008 mit 75 Prozent Ja-Stimmen gutgeheissen. Kurz darauf erhoben mehrere linke Gruppierungen Beschwerde gegen insgesamt 15 Punkte des neuen Regelwerks. Sie befürchteten, dass die Grundrechte der Bürger auf der Strecke blieben. Am 1. Juli 2009 wurde das Polizeigesetz trotz hängiger Beschwerde in Kraft gesetzt.

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