Notverordnungen des Bundesrats

17. März 2010

Parlamentarische Initiative «Wahrung von Demokratie, Rechtsstaat und Handlungsfähigkeit in ausserordentlichen Lagen»

Der Bundesrat darf in der Regel nur auf der Grundlage eines Gesetzes Verordnungsrecht erlassen oder Ausgaben tätigen. Die Bundesverfassung ermächtigt den Bundesrat aber in Art. 184 und 185, in ausserordentlichen Lagen unter bestimmten Voraussetzungen Verordnungen und Verfügungen ohne Grundlage in einem Bundesgesetz zu erlassen und Ausgaben ohne vorgängige Bewilligung durch die Bundesversammlung zu tätigen. Die Wahrnehmung dieser Zuständigkeiten durch den Bundesrat hat in den letzten Jahren mehrfach zu Kritik Anlass gegeben, z.B. beim Swissair-Grounding, bei der Aktenvernichtung im Fall Tinner oder bei der UBS-Rekapitalisierung.

Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates hat mit der Umsetzung einer parlamentarischen Initiative vorgeschlagen, die Kompetenzen, welche dem Bundesrat in Art. 184 und 185 der Bundesverfassung gegeben werden, auf Gesetzesstufe zu konkretisieren.

Generalvollmacht statt klare Schranken

Ein grosser Teil der Kritik an Notverordnungen des Bundesrats in der letzten Zeit bestand darin, dass der Bundesrat Notverordnungen erlasse, ohne dass eine Notlage herrsche. Diesen Bedenken trägt die geplante Gesetzesänderung absolut keine Rechnung.

Weder die neue «Delegation für ausserordentliche Lagen», welche entweder vor dem Erlass einer Notverordnung angehört oder zumindest innert 24 Stunden nach dem Erlass einer Notverordnung informiert werden muss noch die zeitliche Beschränkung, welche eine Gültigkeit von bis zu 8 Jahren zulässt, sind wirkliche Schranken.

Die Argumentation in der Botschaft, dass eine maximalen Geltungsfrist von vier Jahren, welche einmal um vier Jahre verlängert werden kann, zu einer Reduktion von Notverordnungen führen würde, weil bei einer kürzeren Geltungsfrist die Hemmschwelle gesenkt werde, ist ziemlich blauäugig. Wenn die Hemmschwelle angehoben werden soll, was zweifellos dringend nötig ist, muss eine Qualitätskontrolle eingeführt werden. Das wäre problemlos möglich, indem durch eine Änderung des Bundesgerichtsgesetzes Beschwerden gegen Notverordnungen ermöglicht würden.

Ohnehin ist nicht nachvollziehbar, weshalb dringliches Recht des Bundesrats länger in Kraft bleiben soll als dringliches Recht des Parlaments.

Einen Tag nach der Publikation der Botschaft «Wahrung von Demokratie, Rechtsstaat und Handlungsfähigkeit in ausserordentlichen Lagen» im Bundesblatt vom 16. März 2010 wurde bekannt, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Klage gegen die Aktenvernichtung durch den Bundesrats per Notverordnung im Fall Tinner zugelassen hat. Durch eine Erhöhung der Hürden für Notrecht lassen sich auch Blamagen der Schweiz in Strassburg verhindern.

Der Bundesrat ist der Ansicht, dass in der Vergangenheit alles bestens gelaufen sei. In seiner Antwort zum Gesetzesentwurf «Wahrung von Demokratie, Rechtsstaat und Handlungsfähigkeit in ausserordentlichen Lagen» schlägt er Änderungen vor, welche den heutigen Zustand zementieren würden.

Am 29. Oktober 2010 ist die Staatspolitische Kommission des Ständerates dem Bundesrat gefolgt und hat die Zeit, in welcher nach dem Erlass einer Notverordnung ein Gesetzesentwurf vorgelegt werden muss, von 6 Monaten auf ein Jahr erhöht. Zudem wurde die Konsultationspflicht der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) gestrichen, sie soll neu lediglich innert 24 Stunden informiert werden müssen.

Der Ständerat hat am 1. Dezember 2010 den Vorschlägen seiner Kommission zugestimmt, ist dann allerdings am 16. Dezember 2010 auf die Version des Nationalrats eingeschwenkt: Innert 6 Monaten nach Inkrafttreten einer Notverordnung muss der Bundesrat einen Gesetzesentwurf vorlegen, bei dringlichen Ausgaben von über 500 Mio. Franken muss die Finanzdelegation des Parlaments konsultiert werden.