Anti-Wef-Demos 2008: Dateneinsicht und Löschung jetzt verlangen

9. Oktober 2008

In einem Beschluss vom 14. August 2008 hat die Anklagekammer des Berner Obergerichts einem bei der Berner Anti-Wef-Demo vom 19. Januar 2008 präventiv Festgenommenen recht gegeben. Die Kantonspolizei musste seine Daten löschen.

Allenfalls zwei Briefe

Seit drei Wochen hat Max Müller die schriftliche Bestätigung, dass seine «bei der Kantonspolizei vorhandenen Daten gelöscht worden sind». Am 14. August 2008 hat er vor der Anklagekammer des Berner Obergerichts einen juristischen Sieg errungen, der zunächst 210 weiteren Personen zugute kommen kann: all jenen nämlich, die bei der Anti-Wef-Demo in Bern festgenommen wurden und gegen die die Polizei keine strafrechtlichen Ermittlungen aufnahm. Der Beschluss hat aber über die Kantonsgrenzen hinaus Bedeutung und ist in ähnlicher Weise anwendbar auf die Anti-Wef-Demo in Basel am 26. Januar 2008 oder die Massenverhaftung in Luzern am 1. Dezember 2007. Max Müller hat vorgemacht, dass es sich lohnt, zwei kleine Briefe zu schreiben.

Der erste Brief

Den ersten schrieb Max Anfang Februar des Jahres an die Kantonspolizei Bern. Darin verlangte er erstens Auskunft über alle «Personen- und Bilddaten» zu seiner Person, insbesondere über jene, «welche im Zusammenhang mit meiner Festnahme am 19. Januar 2008 erhoben worden sind.» Diese Informationen seien – das war Müllers zweite Forderung – nach der Einsicht zu löschen. Kantonspolizisten hatten ihn damals, eine Stunde vor dem geplanten Beginn der unbewilligten Demo «zur Feststellung der Identität» auf die Wache am Waisenhausplatz gebracht. Dort zwang man ihn, sich nackt auszuziehen, nahm seine Personalien auf, fotografierte ihn und hielt ihn insgesamt sieben Stunden (in einem Aussenkäfig in der Kälte) fest.

Die Antwort der Kapo auf Müllers ersten Brief kam Ende März: Seine Personalien seien auf einer «Personenkontroll- und Festnahmekarte» registriert zusammen mit Ort und Zeit der «Anhaltung» und den sichergestellten Gegenständen, nämlich einem Natel und einem Anti-Rep-Flyer. Die Kapo erfasste die Daten später in ihrer Vorermittlungsdatenbank. Sie sei berechtigt, sie fünf Jahre lang aufzubewahren. «Grundsätzlich werden solche Daten jedoch spätestens nach zwei Jahren gelöscht», heisst es in dem Schreiben weiter. Das enthielt zudem eine falsche Rechtsmittelbelehrung: Die Verfügung könne innerhalb von dreissig Tagen bei der Polizei- und Militärdirektion (POM) des Kantons angefochten werden.

Der zweite Brief

Die POM reichte Müllers zweiten Brief Ende April an die richtige Adressatin, nämlich die Anklagekammer des Obergerichts, weiter. Denn im Unterschied zu anderen Kantonen ist die Anklagekammer in Bern nicht für Rekurse gegen Datenbearbeitungen nach dem Strafverfahrensgesetz, sondern auch für jene nach dem Polizeigesetz zuständig. Die RichterInnen nahmen den Rekurs an und störten sich nicht daran, dass Müller die eigentlich geltende Frist von zehn Tagen nicht eingehalten hatte, denn dem «Rechtsunterworfenen dürfen aus einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung keine Nachteile erwachsen.» In ihrem Beschluss vom 14. August 2008 ruft die Kammer der Polizei die Grundprinzipien des Datenschutzes in Erinnerung. Unabhängig von der im Polizeigesetz vorgesehenen Höchst-Speicherungsdauer von fünf Jahren müsse die Polizei die Daten einer Person löschen, sobald sie nicht mehr erforderlich sind. «Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit verbietet es jedenfalls, sich – unbesehen der konkreten Umstände und ohne weitere Begründung – auf eine grundsätzliche Aufbewahrungsdauer von zwei Jahren zu berufen.» Bei Max Müller habe die Polizei keine gefährlichen Gegenstände sichergestellt. Er gehöre nicht zu den 35 Personen, gegen die die Polizei nach der Anti-Wef-Demo Ermittlungen eingeleitet habe. Nach mehr als einem halben Jahr «bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Anzeige noch erfolgen wird.» Eine weitere Speicherung für den hypothetischen Fall, «dass der Betroffene allenfalls wieder einmal im Rahmen einer unbewilligten Kundgebung angehalten werden könnte, würde sich verbieten.» Denn schliesslich solle die Vorermittlungsdatenbank nicht der Fichierung von Personen, sondern der Vernetzung von kriminalpolizeilich relevanten Daten dienen.» Konkret heisst das: Alle die bei der Anti-Wef-Demo vom Januar dieses Jahres festgenommen wurden und gegen die es keine weiteren Ermittlungen gab, haben definitiv ein Recht darauf, dass ihre Daten sofort aus der Vorermittlungsdatenbank gelöscht werden. Was bei denen passieren soll, bei denen die Polizei behauptet, Anzeichen für Gewaltbereitschaft gefunden zu haben, lässt die Kammer offen. Und selbstverständlich gelten dieselben Prinzipien natürlich auch bei allen anderen Demos.

Einsicht und Löschung jetzt verlangen

Und so geht’s:

Musterbrief 1 – RTF-Version anpassen und abschicken an die jeweilige Kantonspolizei

Nach einigen Wochen sollte die Antwort der Polizei eintreffen. Wenn die Polizei Auskunft gibt und danach bereit ist, die Daten zu löschen, ist die Sache erledigt. Wenn nicht, muss man rekurrieren. In Bern ist für solche Rekurse die Anklagekammer des Obergerichts zuständig, in anderen Kantonen die Polizeidirektion. Achtung: Fristen nicht versäumen!

Musterbrief 2 – RTF-Version anpassen und abschicken an die jeweilige Rekursinstanz

Und bitte: Kopien der Briefe und Antworten an grundrechte.ch. Bei Bedarf helfen wir bei der Anpassung der Texte.

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