Gesunde Paranoia

1. Dezember 2014

E-Health: Der Kan­ton Zü­rich schafft ei­ne Da­ten­bank für Pa­ti­en­ten. Das kann krank ma­chen – vor Miss­trau­en.

Es klingt nach ei­ner gu­ten Nach­richt. Doch das geis­ti­ge Im­mun­sys­tem schal­tet au­to­ma­tisch auf Ab­wehr.

Me­di­ka­men­te, All­er­gi­en, Spi­tal­auf­ent­hal­te, Rönt­gen­bil­der; die­se An­ga­ben sol­len ab 2016 so ge­spei­chert wer­den, dass al­le be­han­deln­den Fach­leu­te sie ab­ru­fen kön­nen. «Elek­tro­ni­sches Pa­ti­en­ten­dos­sier» nennt sich das. Der Kan­ton Zü­rich will es vor dem Rest der Schweiz ein­füh­ren. In­for­ma­tio­nen im Gesundheits­system zir­ku­lie­ren so sto­ckend wie Blut durch ver­kalk­te Ar­te­ri­en. Drei Vier­tel der Kran­ken­ak­ten sol­len sich heu­te noch auf Pa­pier be­fin­den. Oft weiss ein Arzt nicht, was sein Vor­gän­ger her­aus­ge­fun­den hat, weil der Un­ter­la­gen nicht wei­ter­lei­tet. «E-Health» soll die­sen Aus­tausch ver­flüs­si­gen. Bis vor kur­zem hät­te man das als Fort­schritt ge­fei­ert. Doch di­gi­ta­le Pa­ra­noia hat die di­gi­ta­le Eu­pho­rie ab­ge­löst. NSA-Ent­hül­lun­gen und Big-Da­ta-Ge­schich­ten füh­ren vor: Wo Da­ten ge­sam­melt wer­den, will man sie auch be­wirt­schaf­ten.

We­ni­ge Da­ten kön­nen so viel Scha­den an­rich­ten wie je­ne zur Ge­sund­heit. Ein Ex­trem­bei­spiel: Weiss ein Ar­beit­ge­ber, dass Job-Be­wer­ber An­ti­de­pres­si­va schlu­cken, viel trin­ken oder stän­dig ins Spi­tal müs­sen, wird er ge­sün­de­re Kon­kur­ren­ten be­vor­zu­gen. Auch Kran­ken­kas­sen mei­den sol­che Men­schen. Den Grund für ih­re Nie­der­la­gen wer­den die Ab­ge­wie­se­nen nie­mals er­fah­ren. Da­ten­ban­ken hin­ter­las­sen stil­le, wehr­lo­se Op­fer.

Zahl­rei­che Si­che­run­gen

Um Miss­brauch zu ver­hin­dern, bau­en die Be­hör­den meh­re­re Si­che­run­gen ins E-Health-Sys­tem. Es gibt kei­nen ­Zentralrechner, auf dem al­le kom­plet­ten Dos­siers ge­spei­chert sind. Die­se lie­gen wei­ter­hin ver­stü­ckelt auf den Com­pu­tern der Ärz­te, Apo­the­ker oder Spi­tä­ler. Meh­re­re Re­gis­ter ver­lin­ken die­se Da­ten mit­ein­an­der.

Je­der Bür­ger ent­schei­det frei, ob er ei­ne E-Ak­te will. Sagt er Ja, kann er mit Pass­wör­tern steu­ern, wel­che An­ga­ben er wem an­ver­traut. Sonst er­hält nie­mand Zu­griff. Zu­dem kön­nen die Pa­ti­en­ten nach­prü­fen, wer ih­re Un­ter­la­gen ein­ge­se­hen hat. Laut Da­ten­schüt­zern bringt das Sys­tem al­le Vor­aus­set­zun­gen mit, um Miss­brauchs­ver­su­chen stand­zu­hal­ten.

So theo­re­tisch, so gut. Doch der di­gi­ta­le Arg­wohn wit­tert wei­te­re Ge­fah­ren. Je­des Com­pu­ter­sys­tem lässt sich kna­cken, die Schutz­wäl­le könn­ten un­ter po­li­ti­schem Druck ero­die­ren. Frei­wil­lig­keit en­det aus­ser­dem oft im kol­lek­ti­ven Zwang. Wenn sich die E-Ak­te be­währt, muss sich je­der recht­fer­ti­gen, der kei­ne will. Vie­le wer­den dem Druck nach­ge­ben.

Am En­de bleibt wohl nichts an­de­res üb­rig. Wer nicht auf Kre­dit­kar­te oder Han­dy ver­zich­ten will, muss schon heu­te sei­ne Pa­ra­noia zü­geln und dem staat­li­chen Da­ten­schutz ver­trau­en.

Dem gröss­ten Ri­si­ko lie­fern sich Men­schen so­wie­so frei­wil­lig aus, in­dem sie Ge­sund­heits-Apps aufs Han­dy la­den oder me­di­zi­ni­sche Ge­rä­te am Kör­per tra­gen. Die­se zäh­len Schrit­te, mes­sen den Puls, ana­ly­sie­ren Mahl­zei­ten, be­ob­ach­ten den Schlaf.

Un­ter dem Vor­wand, das ei­ge­ne Ver­hal­ten bes­ser zu ver­ste­hen, lie­fern Nut­zer da­durch in­ti­me In­for­ma­tio­nen an pri­va­te Un­ter­neh­men. Aus den Da­ten­men­gen wer­den Er­kennt­nis­se er­rech­net, die ge­nau­er sein kön­nen als je­ne in der E-Health-Ak­te (ob je­mand die Ver­an­la­gung zu Dia­be­tes mit­bringt, zum Bei­spiel). So ver­ra­ten sich Ri­si­ko­pa­ti­en­ten gleich sel­ber. Hier kann di­gi­ta­le Pa­ra­noia heil­sam wir­ken.

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