SBB planen im Alleingang ein Handy-Portemonnaie

28. Dezember 2012

Von Romeo Regenass, Tages-Anzeiger

In einer vertraulichen Ausschreibung sucht die Bahn Technologiepartner für ein elektronisches Portemonnaie. Weil sie das im Alleingang tut, pochen andere Transportunternehmen auf ihre Rechte.

Die SBB machen vor allem durch ihren Geld- und Investitionsbedarf und saftige Preisaufschläge von sich reden. Dabei sitzt die Bahn auf einem Vermögen: Pro Tag hat sie 1 Million Passagiere, 2,6 Millionen nutzen ihre App für Smartphones, 3 Millionen Kunden haben ein Halbtax- oder Generalabo. Das macht der Fast-Monopolistin so schnell niemand nach. Hinzu kommen die Website, die zu den Top drei der Schweiz gehört, die 180 bemannten Bahnhöfe und 800 Läden in Bahnhöfen und eigenen Immobilien.

Die SBB suchen nun nach einem Weg, aus den strategischen Vermögenswerten, die von Konkurrenten nicht kopiert werden können, Kapital zu schlagen. Wie kostbar Teile der SBB-Identität sein können, hat sich kürzlich gezeigt: Apple entschädigte die Bahn für die Verwendung der Bahnhofsuhr im Betriebssystem des iPad mit 20 Millionen Franken.

Kundenbindung mit Prämien

In einer als vertraulich klassifizierten Ausschreibung, die dem TA vorliegt, suchen die SBB derzeit Partner für den Aufbau einer Plattform fürs Zahlen via Smartphone. Dieser Markt ermögliche es den SBB, «strategische Vermögenswerte zu Geld zu machen, indem sie sich als starker Partner in der Wertschöpfungskette positionieren». Mit mehreren Milliarden Franken Volumen pro Jahr ist die Bahn eine der wichtigsten Akteurinnen im bargeldlosen Zahlungsverkehr. Das von der Abteilung SBB Digital verantwortete Projekt läuft unter dem Namen «Wally»; er ist abgeleitet von «wallet», englisch für Portemonnaie.

Ähnlich wie die Plattform Vanilla, die der Medienverlag Ringier im April 2011 nach nur sieben Monaten allerdings bereits wieder begraben hatte, soll Wally nicht nur Lösungen im Mobile Payment, sondern auch Kundenbindungsmassnahmen umfassen. In der Demoversion bietet die Sandwichkette Subway einen Gutschein mit 20 Prozent Rabatt an. Solche Angebote sollen Wally-Nutzer standort- und zeitspezifisch erhalten – zum Beispiel wenn sie im Bahnhof an einem Geschäft vorbeilaufen. Angedacht ist auch ein Punktesammelprogramm mit Upgrades in die erste Klasse oder einer Jungfernfahrt durch den Gotthardtunnel als Treueprämien.

Daten zum Nutzerverhalten

Die SBB möchten Kunden mit einem Kundenbindungsprogramm, das auch für Dritte offen ist, für ihre Treue zur Bahn und zu Wally belohnen. Denkbar sei sogar eine eigene Währung, eine Art WIR-Geld in digitaler Form, heisst es in der Ausschreibung. Wally würde eine ganze Reihe von Angaben zum Nutzerverhalten registrieren, so auch das Reise- und Konsumverhalten.

Pionierplattformen wie Vanilla sind wie gesagt bereits Geschichte. Aber die SBB gehen mit einem entscheidenden Vorteil an den Start eines Rennens, in dem auch Unternehmen der Finanz- und Telecomindustrie mitlaufen: Auf der SBB-Mobile-App tummeln sich bereits 2,6 Millionen Kundinnen und Kunden. Logisch, dass die Bahn an eine Integration des elektronischen Portemonnaies in die App denkt. Auch eine SBB-Mobile-Commerce-App oder ein Onlineshop mit Partnern seien denkbar.

Umstrittener Alleingang

Andere Akteure des öffentlichen Verkehrs erfuhren durch den TA vom SBB-Projekt Wally. Sie warnen durchs Band vor einem Alleingang der SBB: «GA und Halbtaxabonnemente gehören bereits heute nicht den SBB allein, sondern den Schweizer ÖV-Unternehmen», sagt etwa BLS-Sprecher Michael Blum. «Die Verwendung dieser Daten ist in einem Regelwerk festgelegt, und es entscheidet heute schon eine Kommission mit ÖV-Vertretern sämtlicher Sparten über ihre Verwendung. Die BLS ist gegen eine Monopolisierung dieser Daten.»

Ähnlich Norbert Schmassmann, der Direktor der Verkehrsbetriebe Luzern (VBL): Die ÖV-Branche bemühe sich, Insellösungen zu vermeiden, die nur in einem Tarifverbund, einer Stadt oder einem Transportunternehmen realisiert werden. «Aber es herrscht ein gewisser Profilierungsdruck, denn jeder kommt in Versuchung, bei sich mal etwas Einmaliges umzusetzen, das für die ganze Schweiz Modellcharakter haben könnte. Hier besteht ein Zwiespalt.» Ein Projekt wie Wally sei aber nur sinnvoll, wenn alle Transportunternehmen mitmachen könnten.

«Kein SBB-spezifisches Thema»

Der Direktor des Zürcher Verkehrsverbunds (ZVV), Franz Kagerbauer, thematisiert die Erträge: «Eine ÖV-Plattform, die auf Daten von Nutzern basiert, ist kein SBB-spezifisches Thema; das wird finanziert von sämtlichen ÖV-Betrieben der Schweiz. Wenn man die Kosten aufteilt, darf man sich aber auch versprechen, von zukünftigen Erträgen zu profitieren.»

Andreas Büttiker, Leiter des Tarifverbunds Nordwestschweiz, sagt es noch etwas pointierter: «Es kann nicht sein, dass die Vertriebskosten solidarisch von allen Transportunternehmen getragen werden und ein Unternehmen die Margen und Erträge eines elektronischen Portemonnaies allein abschöpft.»

Bahnhofsangebot einbinden

Auch Ueli Stückelberger, Direktor des Verbandes Öffentlicher Verkehr (VÖV), wusste nichts vom Projekt Wally. Er findet das aber auch nicht weiter tragisch: «Die SBB dürfen auch mal Voruntersuchungen machen, ohne dass das gleich als konsolidierte Haltung der SBB gilt. Wenn es relevant wird für die Branche, erwarte ich dann schon, dass die Sache in die wichtigen Gremien kommt.»

SBB-Sprecher Christian Ginsig sieht keinen Zusammenhang mit einer Branchenlösung im Ticketing-Bereich: «Bei Wally geht es im Grundsatz um eine breitere Einbindung der Angebote an SBB-Bahnhöfen und damit der Mieter von SBB-Immobilien.» Das sei auch der Grund, weshalb man die Idee sehr transparent am Swiss Payment Forum vorgestellt, aber die Branche dazu noch nicht informiert habe.

Ginsig bestätigt aber, dass die SBB die Wertschöpfung an ihren Bahnhöfen und im Bahnumfeld erhöhen und vor allem Drittgeschäfte freiwillig in eine mögliche Lösung einbinden wollen. «Die Vision ist, dass man über eine Payment-Lösung beispielsweise am Bahnhof Blumen kaufen, ohne Suche nach Kleingeld auf die Toilette gehen oder ein Schliessfach mieten kann.»

Interessierte Unternehmen haben bis zum 18. Januar 2013 Zeit, den SBB ihre Ideen und Vorschläge vorzulegen.

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