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Bern, den 8. Januar 2007

EJPD

Bundesamt für Polizei

3003 Bern

Einführung biometrischer Ausweise - Bundesbeschluss über die Genehmigung und Umsetzung einer Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes im Bereich Ausweis- und Ausländerrecht

Sehr geehrter Herr Bundesrat

Sehr geehrte Damen und Herren

grundrechte.ch gestattet sich im Folgenden zu dem Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Einführung biometrischer Ausweise Stellung zu nehmen:

1. Seit den Anschlägen in den USA vom 11. September 2001 wurden biometrische Verfahren weltweit als eines der Allheilmittel zur Bekämpfung des Terrorismus angepriesen. Wie andere Bürgerrechtsorganisationen in Europa hat auch grundrechte.ch prinzipielle Einwände gegen diese neue Form der Überwachung, die mit der weltweiten Durchsetzung biometrischer Pässe sowie entsprechender Methoden der polizeilichen Kontrolle insbesondere an den Grenzen verbunden ist.

Letztendlich bedeutet dies, dass die erkennungsdienstliche Behandlung, die in demokratischen Staaten bisher nur im Zusammenhang mit einem Strafverfahren erlaubt war, nun auf die gesamte Bevölkerung ausgedehnt wird. Diese Generalisierung des Verdachts höhlt das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung weiter aus. Sie bringt vor allem eine verdeckte Subventionierung der informationstechnischen Industrie der westlichen Staaten, nicht aber mehr Sicherheit. Sinnigerweise enthalten gerade Pässe der USA, also desjenigen Staates, der am stärksten für die Einführung biometrischer Dokumente Druck gemacht hat, keine biometrischen Daten. Wer also unter falschem Namen durch Europa reisen will, beschafft sich am besten einen (gefälschten) US-Pass. Mit dem kann er oder sie sich visumsfrei in Europa bewegen und muss keinen Abgleich biometrischer Daten fürchten. Die Wirksamkeit des als Terrorismusbekämpfung gerechtfertigten Riesenaufwands für biometrische Pässe kann daher ernsthaft in Frage gestellt werden.

2. Ein Jahr nach der Vernehmlassung zum „Pass 2006“ präsentiert das EJPD nun eine weitere Vorlage, mit der die zunächst fakultative Ausstellung biometrischer Pässe nun obligatorisch werden soll. Die in der ersten Vorlage vorgesehene fünfjährige Pilotphase mit Biometrie-Pässen hat kaum begonnen, Erkenntnisse liegen noch keine vor, und schon soll ein weitergehendes Gesetz erlassen werden, das die Versuchsphase des Passes 2006 halbiert und zusätzlich zum digitalisierten Gesichtsbild Fingerabdrücke in den Pass einführt.

Wurde die erste Vorlage mit dem Druck der USA begründet, so wird die jetzige als Reaktion auf die Verordnung der EU gerechtfertigt. Diese Vorgehensweise ist umso erstaunlicher, als die EU ihre Verordnung zu den biometrischen Pässen bereits im Dezember 2004 beschlossen hat und insofern bereits im Sommer 2005 klar war, dass die Schweiz bei einer Assoziation an Schengen solche Pässe einführen muss. grundrechte.ch kritisiert diese Salamitaktik der Gesetzgebung:

Bei der Umsetzung der Schengener Vorgaben spielt das EJPD nicht mit offenen Karten: Es informiert weder das Parlament noch die Öffentlichkeit über die laufenden Verhandlungen in den „gemischten Ausschüssen“ (EU-Staaten plus Norwegen, Island und die Schweiz), sondern präsentiert deren Ergebnisse als fait accompli. Die eingeschränkten Möglichkeiten, die der Gesetzgebung in der Schweiz durch den Schengen-Anschluss bleiben, werden so durch das EJPD weiter limitiert.

Ähnliches steht bei weiteren Beschlüssen und Verordnungen der EU zu erwarten, konkret: bei den Verordnungen und dem Beschluss zum Schengener Informationssystem der zweiten Generation (SIS II), die das Europäische Parlament am 25. Oktober 2006 annahm, sowie beim Visa-Informationssystem, über das derzeit noch verhandelt wird. Eine wirkliche Konsultation der Aussenpolitischen Kommissionen von National- und Ständerat hat hierzu noch nicht stattgefunden. Das Parlament und erst recht die Öffentlichkeit wissen bisher nicht, welche Positionen die Schweiz in den entsprechenden Gremien vertreten hat.

Dieses Vorgehen des Bundesrats wäre eigentlich Anlass genug, um diese zweite Vorlage ohne weitere Begründung samt und sonders abzulehnen und den Notentausch bezüglich Übernahme der EU-Verordnung 2252/2004 zu verweigern.

3. Mit der Umsetzung der Vorgaben der EU können nur solche Massnahmen gerechtfertigt werden, die in den entsprechenden Verordnungen oder Ratsbeschlüssen selbst vorgesehen sind. grundrechte.ch hält hier zunächst fest, dass gemäss der EU-Verordnung 2252/2004 biometrische Daten nur in den Reisedokumenten selbst, nicht aber in einer zentralen Datenbank gespeichert werden müssen.

Die in einem Chip zu speichernden biometrischen Daten sollen der Authentifizierung des Dokuments dienen, also die Übereinstimmung des Gesichtsbildes und der Fingerabdrücke mit dem lebenden Objekt, dem Inhaber bzw. der Inhaberin des Passes, belegen. Sofern wirklich andere als alphanumerische Daten zur Echtheitsprüfung notwendig sind, reicht eine sog. Hash-Nummer, welche aus dem Gesichtsbild resp. dem Fingerabdruck gewonnen wird. Unter diesem Gesichtspunkt ist grundrechte.ch der Ansicht, dass bei einer Genehmigung der EU Verordnung 2252/2004 Gesichtsbild und Fingerabdrücke nur für die Herstellung des Passes genutzt, aber nicht wie in dieser Vorlage vorgesehen zentral im Informationssystem Ausweisschriften (ISA) gespeichert werden dürfen; biometrische Daten, die im Laufe des Pilotversuchs in ISA gespeichert wurden, sind umgehend zu vernichten. Gleiches muss für die von der Schweiz ausgestellten Reisedokumente für AusländerInnen (also insbesondere Flüchtlingspässe) gelten. Eine zentrale Speicherung biometrischer Daten - in der „Ausländerdatei“ ISR - muss auch hier unterbleiben.

Mit dem Verzicht auf eine zentrale Speicherung würde die Schweiz dem deutschen Beispiel folgen. Deutschland war zwar der erste Mitgliedstaat der EU, der die EU-Verordnung umsetzte. Allerdings hat der deutsche Gesetzgeber bewusst festgelegt, dass die biometrischen Daten nur auf dem im Pass integrierten Chip gespeichert werden. Ansonsten werden diese Daten nach der Herstellung des Dokuments sofort gelöscht. Bei einer Passkontrolle können also nur die in diesem Chip enthaltenen Daten ausgelesen und mit den Fingerabdrücken bzw. dem Portrait der kontrollierten Person verglichen werden.

Damit kann verhindert werden, dass Fingerabdrücke von Unverdächtigen künftig durch einen gesetzgeberischen Federstrich für irgendwelche anderen polizeilichen Zwecke zur Verfügung gestellt werden.

4. Ebenfalls nach der EU-Verordnung nicht verpflichtend ist die generalisierte Einführung biometrischer Ausweislesegeräte. Diese ist für die Schweiz als Schengen-Binnenstaat auch nicht erforderlich. Die auf dem Landweg zu überschreitenden Grenzen der Schweiz sind in Zukunft Schengen-Binnengrenzen, an denen im Normalfall keine Personenkontrolle erfolgt. Die einzigen Schengen-Aussengrenzen werden die internationalen Flughäfen sein. EU-BürgerInnen können hier mit Identitätskarte einreisen, in denen vorerst keine biometrischen Daten enthalten sind1. Auch die Reisedokumente der meisten aussereuropäischen Staaten werden auf lange Sicht keine biometrischen Daten enthalten.

Eine generelle Einführung von Lesegeräten für biometrische Daten ist also nicht erforderlich und auch nicht angemessen. Um Personenidentifikationen per Fingerabdruckvergleich durchführen zu können, reicht ein zentrales Zertifikat. Fingerabdrücke werden bei Bedarf an die Landeszentrale übermittelt, dort entschlüsselt und wieder ans Lesegerät zurückgesandt. Dadurch wird erstens Missbrauch erschwert und zweitens wird durch diese Hürde sichergestellt, dass Fingerabdrücke nur in Ausnahmefällen zur Identifikation herangezogen werden. Es darf nicht sein, dass der Fingerabdruck zum normalen Identifikationsmerkmal wird, nur weil er im Pass gespeichert ist.

5. Ferner verlangt grundrechte.ch, dass weiterhin Pässe ohne biometrische Daten abgegeben werden. Zu diesem Zweck sind bei den Ausweisarten gemäss Art. 1 Abs. 3 AwG explizit Pässe ohne biometrische Daten (entspricht Pass 2003) mit einer Gültigkeitsdauer von einem Jahr vorzusehen. Ebenfalls sind die Gebühren für diese Pässe tief zu halten. Einjahrespässe sollten vor allem im aussereuropäischen Raum zum Standard werden. Pässe von Auslandschweizern sind in der Regel lange vor der Ablauffrist vollgestempelt und müssen ohnehin ausgetauscht werden; zudem kann dadurch die teure Aufstockung des Botschafts- und Konsulatspersonals minimiert werden. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erfordert, dass die Wahlmöglichkeit für die BürgerInnen erhalten bleibt.

6. Bezüglich der Kosten teilt grundrechte.ch grundsätzlich die Ansicht, dass diese vom PassinhaberInnen getragen werden müssen. Allerdings dürfen Zusatzkosten, welche lediglich durch die Hysterie einiger Politiker entstehen, nicht auf die PassinhaberInnen überwälzt wer-den. Es geht nicht an, dass alle BürgerInnen zwangsweise erkennungsdienstlich erfasst werden und erst noch dafür bezahlen müssen. Die Kosten für die Erfassung biometrischer Daten und die Herstellung der Speichermedien müssen daher vom Bund getragen werden.

Eine Umsetzung der EU-Verordnung ist für grundrechte.ch nur in dieser minimalen Variante akzeptabel.

Mit freundlichen Grüssen

i.A. von grundrechte.ch

C. Weber, Geschäftsführerin

1 Zwar werden demnächst einige EU-Staaten biometrische IDs einführen, eine Rechtssetzungskompetenz der EU in diesem Aspekt gibt es aber nicht. Daher kann die EU die Einführung solcher Dokumente nur empfehlen, aber weder die Mitgliedstaaten noch die Schweiz dazu verpflichten. Siehe die Entschliessung des Ministerrates von 4.12.2006, die den Mitgliedstaaten empfiehlt im Falle einer Einführung biometrischer IDs gemeinsame Standards zu wahren, aber nicht zu einer Einführung verpflichten kann; Ratsdokument 15801/06 (Presse 341)

 

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