Der politische Druck auf einen Neustart beim E-Voting wächst

4. Januar 2020

Erich Aschwanden, NZZ

Die Schweizer Post will noch dieses Jahr mit einem neuen System für die elektronische Stimmabgabe auf den Markt kommen. Parlamentarier kritisieren diesen Schritt.

2019 hätte E-Voting in der Schweiz den definitiven Durchbruch schaffen sollen. Vor zwei Jahren hatten sich nämlich der Bund und die Konferenz der kantonalen Staatsschreiber zum Ziel gesetzt, dass bei den Nationalratswahlen zwei Drittel aller Kantone die elektronische Stimmabgabe einsetzen. Es kam anders. 2019 wurde in Tat und Wahrheit zum Horrorjahr für das Abstimmen per Mausklick.

Die Misere begann im Frühling, als Forscher kritische Sicherheitslücken im E-Voting-System der Post entdeckten. Als Folge davon stand das Post-Modell, das die Kantone Basel-Stadt, Freiburg, Neuenburg und Thurgau verwendeten, bei den Abstimmungen vom 19. Mai und den Nationalratswahlen nicht zur Verfügung. Im Juni gab zudem der Kanton Genf sein E-Voting-System auf, das neben Genf, der Aargau, Bern und Luzern eingesetzt hatten. Bei den Nationalratswahlen standen schliesslich nur die beiden bewährten Stimmkanäle zur Verfügung: der Gang an die Urne oder die briefliche Stimmabgabe.

Nationalrat zieht die Notbremse

Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit hat der Nationalrat im Dezember einen Entscheid gefällt, der das Ende der elektronischen Stimmabgabe in der bisher in der Schweiz getesteten Form besiegeln könnte. Mit 100 zu 75 Stimmen hat die grosse Kammer die parlamentarische Initiative «Marschhalt beim E-Voting» des abgewählten Zürcher SVP-Nationalrats Claudio Zanetti überwiesen. Nationalrat Franz Grüter (svp., Luzern), ein Kritiker der ersten Stunde, freut sich darüber, «dass nun auch der Nationalrat eingesehen hat, dass wir die Notbremse ziehen müssen».

Neben der SVP stimmten auch die Grünen dem Vorstoss praktisch geschlossen zu. Gespalten zeigten sich FDP, CVP und SP. Doch auch bei den Freisinnigen werden die kritischen Stimmen immer lauter. «Es braucht jetzt einen Neustart, nur so hat E-Voting in der Schweiz noch eine Chance», erklärt Nationalrat Marcel Dobler (St. Gallen). Einig sind sich Grüter und Dobler, dass der Schweizer Post, die an einem Nachfolgesystem arbeitet, dabei eine Schlüsselrolle zukommt. «Die Schweizer Post hat bis jetzt 20 Millionen Franken in dieses Projekt gesteckt. Sie produziert jährliche Kosten von 5 Millionen Franken, dies bei Einnahmen von 2 Millionen, die die Kantone bezahlen müssten, wenn denn abgestimmt werden könnte», kritisiert IT-Unternehmer Grüter.

Doch vorerst hält die Post an ihrem Vorhaben fest. «Die Schweizer Post rechnet damit, dass ihr System bis Ende 2020 einsatzbereit ist. Die Kantone entscheiden jedoch letztlich, ob und wann sie die elektronische Stimmabgabe ihren Stimmbürgerinnen und -bürgern zur Verfügung stellen möchten», schreibt Mediensprecher Erich Goetschi auf eine entsprechende Anfrage. Weil verschiedene Kantone ihren Einwohnern die elektronische Stimmabgabe ermöglichen wollten, habe sich die Post entschieden, ihr E-Voting-System weiterzuentwickeln. Das letzte Wort in dieser Angelegenheit dürfte möglicherweise noch nicht gesprochen sein, stehen doch verschiedene Parlamentarier in engem Kontakt mit der Schweizer Post und versuchen ein Umdenken zu bewirken

Vertrauen ist geschwunden

Deutlich skeptischere Töne in Sachen E-Voting als früher kommen auch von der Landesregierung. So hat Bundeskanzler Werner Thurnherr festgestellt, dass das Vertrauen von Politik und Bevölkerung in das digitale Abstimmen gesunken ist. Der Bundesrat hat deshalb darauf verzichtet, den dritten Stimmkanal in den ordentlichen Betrieb überzuführen. Ausserdem soll der laufende Testbetrieb neu konzipiert werden. Im Vordergrund steht dabei eine Verbesserung der Sicherheit und der Transparenz.

Konkret will der Bund den Zugang zum Quellcode und zur Dokumentation der E-Voting-Systeme verbessern und die unabhängige Aufsicht stärken. Ausserdem sollen die Abstimmungssysteme in Zukunft vollständig verifizierbar sein, was eine kryptologische Überprüfung des Abstimmungsresultats bedeutet, die heute noch nicht erfolgt. Bis Ende 2020 soll die Bundeskanzlei zusammen mit den Kantonen das neue Konzept ausarbeiten. Welche Rolle in diesen Planungen das neue System der Post spielt, ist derzeit noch offen. Auf jeden Fall will Thurnherr die Schweizer Wissenschaft stärker in den Prozess einbeziehen. Etwas, was bisher vernachlässigt wurde.

Volksinitiative bleibt als Druckmittel

Aus der Sicht von Franz Grüter ist dies ein hoffnungsvoller Ansatz: «Es ist positiv, dass der Bundesrat mit den besten Köpfen des Landes das Gespräch sucht. Das E-Voting muss in der Hand des Bundes bleiben und darf nicht an eine Privatfirma ausgelagert werden, wie dies die Post getan hat.» Ein System, das sämtlichen Sicherheitsvorschriften genügt und bei dem die universelle Verifizierbarkeit gegeben ist, würde sowohl von Dobler wie auch von Grüter begrüsst.

Sollten die gestellten Anforderungen jedoch nicht erfüllt sein, gibt es als Druckmittel immer noch die Initiative «Für eine sichere und vertrauenswürdige Demokratie (E-Voting-Moratorium)». Wie viele Unterschriften für das vor einem Jahr gestartete Volksbegehren bereits gesammelt wurden, will Grüter nicht verraten. Er sei jedoch zuversichtlich, dass die benötigten 100,000 Unterschriften bis im September 2020 zusammenkommen würden.

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