Der Richter, der sich mit der NSA anlegt

17. Dezember 2013

Von Lynn Scheurer, Newsnet

Richard Leon, der als rechter Hardliner galt, wendet sich gegen die Überwachungsmethoden der NSA. Es ist nicht das erste Mal, dass der Bundesrichter mit seinen Entscheiden für Aufsehen sorgt.

«Ich kann mir keine rücksichtslosere und willkürlichere Invasion als diese Speicherung persönlicher Daten von praktisch jedem einzelnen Bürger (...) ohne vorherige richterliche Erlaubnis vorstellen.» - Mit deutlichen Worten wendet sich Richard Leon gegen die Praktiken der National Security Agency, kurz NSA. Der Bundesrichter des Bundesbezirksgerichts von Columbia schreibt, das Sammeln von Telefondaten unzähliger US-Bürger sei womöglich verfassungswidrig.

Mehrmals hatten Bundesrichter das Vorgehen der NSA in der Vergangenheit bestätigt. Richard Leon ist der erste, der sich anders entschieden hat. Seine bisherigen Urteile deuten auf einen Unberechenbaren hin.

Von Bush zum Bundesrichter gemacht

Geboren wurde Richard Leon 1949 in South Natick, einer Kleinstadt in der Nähe von Boston, Massachusetts. Nach dem Jurastudium in Harvard arbeitete er als Anwalt bei der damaligen Einwanderungsbehörde der USA, dem Immigration and Naturalization Service.

Nach ein paar Jahren in einer Privatpraxis begann Leons Aufstieg. 1990 wurde er in die Kommission der White House Fellows aufgenommen. Ein White House Fellow arbeitet ein Jahr lang im Executive Office des amtierenden Präsidenten. Für die etwa 15 Stellen pro Jahr bewerben sich jeweils über 1000 Personen. Später unterrichtete Leon an der renommierten Georgetown-Universität, bevor er 2001 von George W. Bush zum Bundesrichter von Columbia nominiert wurde. Der Senat bestätigte seine Ernennung fünf Tage später.

In den 80er- und 90er-Jahren hatte Richard Leon sowohl die Reagan- wie auch die Bush-Senior-Regierung beraten. Bald galt er als ideologischer republikanischer Hardliner, der oft zugunsten der Regierung entschied. Umso überraschender war es, als Leon 2008 die Freilassung von fünf Guantánamo-Häftlingen anordnete. Es gäbe zu wenig Beweise für ihre Schuld, befand er. Der Regierung zufolge hatten die Häftlinge geplant, nach Afghanistan zu reisen, um sich der al-Qaida anzuschliessen.

Freilassung von Guantánamo-Häftlingen

Nur ein Jahr später entschied Leon noch einmal zugunsten eines Guantánamo-Häftlings. Abdulrahim Abdul Razak Al Ginco, genannt Janko, wurde von der Bush- und später von der Obama-Regierung festgehalten. Die Regierung versuchte zu beweisen, dass Janko Mitglied von al-Qaida war, doch es gab Berichte, wonach Janko selbst von der al-Qaida gefoltert und von den Taliban über ein Jahr lang festgehalten worden war. Damit seien allfällige Beweise für Jankos Mitgliedschaft bei der al-Qaida unterminiert, entschied Leon.

Auch 2011 polarisierte Leon wieder, als er gegen Fotos von Raucherlungen und anderen abschreckenden Darstellungen auf Zigarettenverpackungen urteilte. Solche Bilder widersprächen dem Recht auf freie Meinungsäusserung in der Werbung, entschied Leon zur Freude der amerikanischen Tabakindustrie.

Und jetzt kritisiert der vermeintlich regierungstreue und einst von Bush eingesetzte Leon die Überwachungspraxis der NSA aufs Schärfste. Anlass für sein Urteil war die Klage zweier Männer gegen die Ausspähmethoden der NSA. Bei den Klägern handelt es sich um den konservativen Anwalt Larry Klayman und Charles Strange. Stranges Sohn war Entschlüsselungstechniker für die NSA und die Navy SEALs. 2011 wurde er beim Absturz eines Helikopters in Afghanistan getötet.

Leon gab den Klägern Recht und schrieb in seiner 68 Seiten langen Begründung: «Ich habe wenig Zweifel, dass der Autor unserer Verfassung, James Madison, der uns zur Vorsicht vor ‹der Beschneidung der Freiheit des Volkes durch allmähliche und stille Eingriffe durch jene an der Macht› warnte, bestürzt gewesen wäre.» Dementsprechend verhängte er gegen die NSA eine einstweilige Verfügung: Sie dürfen bis auf weiteres keine Daten der beiden Männer mehr sammeln.

«Keine Beweise dafür, dass die NSA je einen Terrorakt verhinderte»

In seiner Urteilsbegründung widersprach Leon der altbekannten Argumentationslinie der Regierung: Diese hatte sich stets auf ein Urteil des Supreme Court berufen, dem obersten amerikanischen Gerichtshof. 1979 hatte der Supreme Court entschieden, bei Telefondaten, die von Kommunikationsfirmen gespeichert werden, könne niemand Privatsphäre erwarten. Richter Leon wandte ein, dass 1979 nicht absehbar gewesen sei, wie intensiv die Menschen im Jahr 2013 ihre Telefone nutzen würden.

Bei dem damaligen Fall sei es zudem um eine Datensuche während weniger Tage gegangen. Die aktuellen Praktiken der NSA hingegen könnten so lange weitergehen, wie Amerika gegen den Terrorismus kämpft, was laut Leon «realistisch gesehen für alle Ewigkeit sein könnte». Leon kritisierte zudem, dass die Regierung bisher keinen einzigen Fall genannt habe, bei dem dank der NSA «tatsächlich eine unmittelbare Terrorattacke gestoppt» worden sei.

«Völlige Rehabilitierung Snowdens»

Das Echo zu Leons Urteil fiel gemischt aus. Ein Sprecher der Justizabteilung der Nationalen Sicherheitsbehörde, Andrew C. Ames, sagte: «Wir haben die Meinung (des Richters) gehört und prüfen diese nun. Wir finden, dass das Programm verfassungsgemäss ist - wie auch schon andere Richter geurteilt haben.»

Anders sieht dies Edward Snowden, der die NSA mit seinen Enthüllungen im Juni in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt hatte: «Ich handelte aus der Überzeugung, dass die Massenüberwachungsprogramme der NSA nicht mit der Verfassung übereinstimmen», sagte Snowden in einem Statement, das der «Guardian»-Journalist Glenn Greenwald veröffentlichte. Greenwald hatte Snowdens Enthüllungen als Erster publiziert, und sagte nach dem Urteil gegenüber dem US-amerikanischen Nachrichtensender MSNBC, Leons Entscheid sei die «völlige Rehabilitierung» für Edward Snowden.

 

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