Der NDB überwacht demokratische Linke

23. Mai 2019

Andreas Fagetti, WOZ

Im September 2015 fichierte der Staatsschutz die Ständerätin Anita Fetz wegen eines SP-Wahlanlasses. Das Pikante an der Geschichte: Die Politikerin war damals in der Aufsicht über den kantonalen Staatsschutz. 2016 stiess die Aufsicht bei Stichproben zufällig auf Fetz’ Eintrag. Wie sich jetzt zeigt, hat die rechtswidrige politische Überwachung System.

Der Vorgang ist so unerhört, dass man ihn ausführlicher nachzeichnen muss. Wahlkampf 2015, Thema Migration: Im alevitisch-kurdischen Kulturzentrum in Basel nehmen am 20. September Ständerätin Anita Fetz, Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer, Nationalrätin Silvia Schenker und Nationalrat Beat Jans sowie vier GrossrätInnen - alle SP - an einer Podiumsdiskussion teil. Da die kurdische Gemeinde in der Schweiz reflexartig mit der als Terrororganisation geführten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gleichgesetzt wird, ruft das den Staatsschutz auf den Plan, der den Wahlkampfanlass überwacht und Anita Fetz’ politische Aktivität erfasst. 2016 stösst das kantonale Aufsichtsorgan für den Staatsschutz bei Stichproben auf einen entsprechenden Datenbankeintrag.

Es lohnt sich in diesem Zusammenhang, aus dem damals geltenden «Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit» zu zitieren: «Die Sicherheitsorgane des Bundes und der Kantone dürfen Informationen über die politische Betätigung und die Ausübung der Meinungs-, Koalitions- und Versammlungsfreiheit nicht bearbeiten. Die Bearbeitung ist jedoch dann zulässig, wenn der begründete Verdacht besteht, dass eine Organisation oder ihr angehörende Personen die Ausübung der politischen Rechte oder der Grundrechte als Vorwand nehmen, um terroristische, nachrichtendienstliche oder gewalttätig extremistische Tätigkeiten vorzubereiten oder durchzuführen.»

Verantwortlich für Fetz’ Eintrag ist der Chef des kantonalen Staatsschutzes, der sogenannten Fachgruppe 9 der Kriminalpolizei. Diese dilettierte bereits früher: Als 2004 gleich sechs kurdisch- beziehungsweise türkischstämmige PolitikerInnen in den Basler Grossrat gewählt wurden, führte der Staatsschutz zwei von ihnen im damaligen Staatsschutz-Informationssystem (Isis) und zwei als sogenannte Drittpersonen in seinen Datenbanken. Bloss weil in Deutschland ein kurdisches Medium die Wahl als Erfolg für die kurdische Sache verbucht hatte. Der Inlandsgeheimdienst musste schliesslich alle Einträge vollständig löschen.

Zeitlich verwirrter Baschi Dürr

Auslöser für die Überwachung war, dass Anita Fetz zum Zeitpunkt ihres Auftritts an der erwähnten Wahlkampfveranstaltung selber im kantonalen Aufsichtsorgan für den Staatsschutz sass. Wieder spielte der Reflex: KurdInnen gleich Nähe zur PKK. Daher äusserten die SchnüfflerInnen «Bedenken bezüglich ihrer Unabhängigkeit». Die Basler SP liess die rechtswidrige Registrierung ihrer Ständerätin in einer Staatsschutzdatenbank nicht auf sich beruhen. In einer Interpellation verlangte sie Auskunft über den Vorgang.

Die Antwort der Regierung vom Herbst 2017 offenbarte zunächst eine schludrige Recherche: Die StaatsschützerInnen hatten den Wahlanlass falsch datiert; Fehler, die häufig vorkommen. Und dann konstruierte der verantwortliche Regierungsrat Baschi Dürr (FDP) im Nachhinein eine abenteuerliche Rechtfertigung. In seiner Antwort auf die Interpellation wird der Staatsschutzbericht 2017 zitiert, der sich unter anderem mit dem Militärputsch in der Türkei und möglichen Eskalationen zwischen KurdInnen und türkischen NationalistInnen in der Schweiz befasste.

Bloss: Als der Wahlanlass der SP über die Bühne ging, schrieb man das Jahr 2015. Der freisinnige Regierungsrat und die kantonalen GesinnungsschnüfflerInnen rückten die Ständerätin also in den Dunstkreis von gewalttätigem Extremismus, statt ihre eklatante Fehlleistung einzuräumen. Anita Fetz sagt heute: «Dass das ausgerechnet bei einer grün-roten Regierungsmehrheit durchgeht, ist mehr als bedenklich. Offensichtlich ist der Fichenskandal von 1989 nicht mehr im Bewusstsein vor allem der mittleren Generation. Es kümmert sie einfach nicht.»

Erfasster Facebook-Like

Wenn selbst eine Ständerätin bei der Ausübung ihrer politischen Arbeit in den Fokus eines als Gesinnungspolizei agierenden Staatsschutzes gerät, was ist dann mit anderen linken Parteien, Gewerkschaften und PolitikerInnen? In Basel entschlossen sich die Partei BastA!, der Gewerkschaftsbund und vier politisch aktive Personen, Einsicht in ihre Staatsschutzakten zu verlangen. Die Alternative Linke Bern und die Juso Bern taten es ihnen gleich.

Der WOZ liegen diese Auskünfte des Nachrichtendiensts des Bundes (NDB) vor. Das vermutete Muster bestätigt sich: Der NDB sammelt Informationen über die Organisation friedlicher Demos, registrierte BastA!-Parteisekretärin Franziska Stiers öffentliches Wirken (zum Beispiel einen Facebook-Like zur Gegenveranstaltung einer Pegida-Demo) und auch Aktivitäten der SP-Grossrätin und Anwältin Tanja Soland. In einer der elf Datenbanken des NDB sind einer ihrer Vorstösse (zum Rechtsextremismus) und die regierungsrätliche Antwort abgelegt, aber auch eine Anklageschrift und zwei Urteile in Strafprozessen, in denen sie als Verteidigerin vor Gericht auftrat. Soland wird in den Datenbanken als Drittperson geführt, gilt also nicht als gefährlich beziehungsweise staatsgefährdend.

Verweigerte Auskunft

Unklar ist das bei BastA!-Parteisekretärin Franziska Stier, der Auskünfte vorenthalten werden. Unter anderem, was die Datenbank Integrales Analysesystem Gewaltextremismus (IASA-GEX NDB) oder jene zur Kontrolle und Steuerung der Funk- und Kabelaufklärung (ISCO) betrifft. Was bedeutet das? Ist sie dort verzeichnet? Wird sie vom NDB als Gefahr für die innere Sicherheit der Schweiz eingeschätzt? Werden ihr E-Mail- und ihr Telefonverkehr abgegriffen?

Kafkaesk ist der Fall der Gewerkschaftsbundsekretärin Toya Krummenacher. Sie weiss nicht, ob der NDB Daten über sie sammelt - oder eben nicht. Krummenachers Anwalt versuchte, vor Bundesverwaltungsgericht genau das zu erstreiten: eine klare Auskunft. Eine solche bekam Toya Krummenacher auch dort nicht, denn das Parlament hatte den Rechtsweg ausgeschlossen, als es das Nachrichtendienstgesetz erlassen hatte.

In Bern steht die Alternative Linke (AL) unter Beobachtung. In den ihr vom NDB zugeschickten Einträgen stellt die AL fest, dass sie fälschlicherweise als Organisatorin einer Demo aufgeführt ist. Immerhin: In der Extremistendatenbank ist sie nicht verzeichnet. Das gilt auch für die Juso Bern, die allerdings relativ dicke Post erhalten hat. Allen diesen Fällen ist gemeinsam, dass der NDB übliche politische Aktivitäten erfasst. Das ist laut Artikel 5, Absatz 5 des Nachrichtendienstgesetzes rechtswidrig.

Wie ein Breitbandantibiotikum

Gesetzgeber und NDB haben aus der Vergangenheit nichts gelernt. Struktur und Ausrichtung dieses Nachrichtendiensts sind höchst problematisch. In der Extremistendatenbank etwa landet man schnell, wie ein Experte, der anonym bleiben will, sagt. Die Schwelle sei zu niedrig, die Aufnahmekriterien oft nicht nachvollziehbar.

Ein weiteres Problem ist die Volltextsuchfunktion der Datenbanken. Jeder Name, auch von nicht als Sicherheitsrisiko eingestuften Drittpersonen, lässt sich im Gegensatz zu früher rasch finden. All das kann für betroffene Personen fatale Folgen haben. Der NDB wirkt wie ein Breitbandantibiotikum - er bekämpft wahllos fast alles, statt seine Ressourcen auf klar abgegrenzte wirkliche Gefahren zu fokussieren.

Am Freitag stellt der NDB an einer Pressekonferenz seinen Jahresbericht vor. Gleichzeitig publiziert grundrechte.ch einen offenen Brief an Claude Janiak, den Präsidenten der Delegation der Geschäftsprüfungskommission der Eidgenössischen Räte (GPDel), und an den Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten, Adrian Lobsiger: «Wir sind besorgt über die Tatsache, dass der NDB nach wie vor gesetzeswidrig politische Parteien und soziale Bewegungen überwacht und fichiert, obwohl diese Organisationen sich an sämtliche demokratischen und legalen Vorgaben halten, um ihre politischen Rechte wahrzunehmen», heisst es dort. Die Organisation fordert unter anderem, dass der NDB «alle offensichtlich rechtswidrig überwachten Organisationen und Personen» darüber informieren müsse - unter unzensierter Beilage aller über sie gespeicherten Daten und Dossiers. Zudem müssten der NDB und die von ihm betriebenen Datenbanken einer ausführlichen Kontrolle unterzogen werden, über die Erkenntnisse müsse man dann die Öffentlichkeit informieren.

Der NDB hat - wie üblich - auf eine Anfrage der WOZ gar nicht erst reagiert.

 

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