Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement EJPD
Frau Bundesrätin Simonetta Sommaruga
Bundeshaus West
CH-3003 Bern
Per E-Mail an:
pascale.probst@sem.admin.ch und
jasmin.bittel@sem.admin.ch
Neue Bestimmungen zum Verfahren (Änderungen der AsylVO1); Änderung der Asylverordnung 1 über Verfahrensfragen (SR 142.311).
Vernehmlassungsfrist 30. November 2017
Sehr geehrte Frau Bundesrätin
Sehr geehrte Damen und Herren
Gerne beteiligen wir uns hiermit am oben aufgeführten Vernehmlassungsverfahren. Wir schliessen uns dabei der Stellungnahme von Solidarité sans frontières (Sosf) und den Demokratischen Juristinnen und Juristen der Schweiz (DJS) vollumfänglich an, möchten aber zu Artikel 15 nachfolgende Präzisierungen und Erläuterungen darlegen.
Generelle Bemerkung
Die Zuweisung von sog. renitenten Asylsuchenden in besondere Zentren war bereits Teil der dringlichen Massnahmen im Asylbereich, die 2012 vom Parlament beschlossen, in der Volksabstimmung 2013 angenommen und 2014 noch einmal verlängert worden sind, weil sie sonst ausgelaufen wären.
Bisher wurde aber die Bestimmung zur Überweisung in ein besonderes Zentrum nie umgesetzt, denn es gibt bis heute kein einziges sog. besonderes Zentrum - und das ist auch gut so. Die für den Betrieb der diversen Zentren des Bundes und der Kantone Verantwortlichen mussten sich in den letzten Jahren mit «Renitenten» oder besser gesagt: schwierigen Personen anderweitig auseinandersetzen und haben dazu offensichtlich auch Lösungen gefunden. Entsprechend war die Frage, ob Asylsuchende, welche «die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden oder durch ihr Verhalten den Betrieb eines Zentrums stören», zwingend in einem besonderen Zentrum untergebracht werden müssen auch 2015 im Parlament umstritten. Der Bundesrat wollte die gesonderte Unterbringung lediglich ermöglichen. Anlässlich der Ständerats-Debatte gab Bundesrätin Sommaruga - leider vergeblich - zu bedenken, es sei schon schwierig genug, Gemeinden für normale Zentren zu finden: «Wenn Sie mir die Gemeinde nennen, die ein Zentrum für Renitente will, lade ich Sie zum Nachtessen ein.» (Blick, 15. Juni 2015).
Der Gesetzgeber hat leider an der zwingenden Formulierung festgehalten. Die in Frage stehenden Regelungen mittels Verordnung gehen aber weiterhin weit über ein rechtsstaatlich zulässiges Mass hinaus.
Vor dem Hintergrund, dass diese besondere Zentren bislang nie ein Bedürfnis waren, müssen die Vorgaben, wonach allenfalls eine asylsuchende Person in ein solches besonderes Zentrum eingewiesen werden kann, den grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien entsprechen, wie wir sie für uns alle immer auch einfordern. Das SEM muss zudem sicherstellen, dass vor einer Zuweisung in ein besonderes Zentrum alle anderen Massnahmen geprüft und angewendet worden sind, um von einer Zuweisung abzusehen: Schlichtung von Streitigkeiten mittels externen Fachpersonen, Verlegung in ein anderes «normales» Zentrum, Zuteilung einer anderen Betreuungsperson, medizinischpsychologische Abklärung etc.
Insbesondere braucht es eine abschliessende Definition der «erheblichen Gefährdung oder Störung». Es darf auf keinen Fall, wie im Bericht erläutert, der Rechtsanwendung überlassen werden, diesen Begriff in der Praxis zu konkretisieren, zumal den von einer Massnahme Betroffenen jegliche Beschwerderechte entzogen werden.
Anmerkungen zu den einzelnen Bestimmungen
Art. 15 Zuweisung in ein besonderes Zentrum (Art. 24a AsylG, Art. 74 Abs. 1bis und 2 AuG) 1
Das SEM weist eine asylsuchende Person, die sich in einem Zentrum des Bundes befindet und die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gefährdet oder durch ihr Verhalten den ordentlichen Betrieb und die Sicherheit des Zentrums des Bundes erheblich stört, einem besonderen Zentrum zu.
2 Eine erhebliche Störung des Betriebs und der Sicherheit eines Zentrums des Bundes liegt insbesondere vor, wenn die asylsuchende Person:
a. die Hausordnung des Zentrums des Bundes grob verletzt, insbesondere weil sie Waffen oder Betäubungsmittel besitzt oder aufbewahrt, oder ein Ausgangsverbot wiederholt missachtet;
Unter dem Begriff «Verletzung der Hausordnung» werden hier mit dem Wörtchen «insbesondere» die verschiedensten Dinge vermischt. Beim Besitz von Betäubungsmitteln oder von Waffen (ohne Waffenerwerbsschein) handelt es sich nicht um blosse Verletzungen der Hausordnung, sondern um Straftaten, für deren Verfolgung die Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften zuständig sind. Den Betroffenen stünden damit sämtliche Rechte aus der Strafprozessordnung zu. Das ist hier jedoch nicht der Fall. Die Verordnung sowie bereits das revidierte Asylgesetz erlauben eine administrative Strafmassnahme - nämlich eine massive Freiheitsbeschränkung - praktisch ohne rechtliches Gehör und ohne ein Verfahren, in dem die Betroffenen Rechte hätten.
Dies ist umso stossender bei den wohl am meisten vorkommenden Verletzungen der Hausordnung. Zu-Spät-Kommen oder Missachtung des Ausgehverbotes sind eine Konsequenz aus der Tatsache, dass die Hausordnung gerade an diesem Punkt äusserst rigide ist: Ausgang nur nach Bewilligung, wochentags nur bis 17 Uhr, am Wochenende bis Sonntag 19 Uhr etc. Eine Integration in die schweizerische Gesellschaft ist so schlicht nicht möglich und offensichtlich auch nicht erwünscht. Derartige Regelungen führen notwendigerweise zu Konflikten mit dem Personal, das sie durchsetzen soll. Bei diesen Konflikten sitzen die Asylsuchenden regelmässig am kürzeren Hebel - denn dem Personal stehen durch die Hausordnung sowie durch die Drohung der Verlegung in ein «besonderes Zentrum» unverhältnismässige Sanktionsmöglichkeiten zu.
b. sich den Verhaltensanweisungen des Personals des Zentrum des Bundes widersetzt und dadurch insbesondere andere Asylsuchende oder das Personal belästigt, bedroht oder gefährdet; oder
c. wiederholt den ordentlichen Betrieb des Zentrums des Bundes behindert, insbesondere durch die Verweigerung von Hausarbeiten oder die Missachtung der Nachtruhe.
Angesichts der Tatsache, dass es sich bei den neuen Zentren des Bundes um grosse Institutionen handelt, in denen teilweise mehrere Hundert Personen - unterschiedlichen Alters, aus unterschiedlichen Ländern, unterschiedlichen Kulturen etc. - untergebracht werden, sind Konflikte und Auseinandersetzungen vorprogrammiert. Dies umso mehr, als viele der Betroffenen nicht nur in ihrem Herkunftsland, sondern auch auf ihrem Weg traumatisierende Erfahrungen gemacht haben.
Statt wenigstens vermittelnde Instanzen zu schaffen, geht die Verordnung an diesem Punkt davon aus, dass der Betrieb in solchen Zentren immer reibungslos verlaufen würde, dass Verhaltensanweisungen des Personals des jeweiligen Trägers immer richtig und daher immer zu befolgen sind. Das ist lebensfremd. Gerade weil Auseinandersetzungen auf engstem Raum wahrscheinlich sind, müsste die Verordnung statt einseitig auf Zwangsmassnahmen zu setzen, zunächst und vor allem Möglichkeiten der Konfliktregelung sowie Alternativen (s.o.) anvisieren.
3 Das SEM informiert die für die Anordnung der Ein- oder Ausgrenzung nach Artikel 74 Absatz 1bis AuG zuständige kantonale Behörde unverzüglich über die Gründe der Zuweisung in ein besonderes Zentrum.
Dieser Absatz muss so ergänzt werden, dass das SEM unverzüglich auch die Vertrauensperson und/oder die Rechtsvertretung über die Zuweisung in ein besonderes Zentrum umgehend informieren muss und dass die Betroffenen vor der eigentlichen Zuweisung (Transport) Gelegenheit erhalten, ihre Bezugspersonen (Vertrauensperson, Rechtsvertretung, Verwandte) über die Zuweisung zu benachrichtigen.
4 Die zuständige kantonale Behörde ordnet die im Zusammenhang mit der Unterbringung in einem besonderen Zentrum erforderliche Ein- oder Ausgrenzung an und informiert darüber unverzüglich das SEM.
Die für die Anordnung der Ein- oder Ausgrenzung zuständige kantonale Behörde ist anzuweisen, die Zwangsmassnahme auch der zuständigen Rechtsvertretung zu kommunizieren.
5 Der Entscheid über die Zuweisung in ein besonderes Zentrum kann nur durch Beschwerde gegen die Endverfügung angefochten werden.
Dieser Absatz ist zu streichen. Stattdessen ist der betroffenen Person vor der Zuweisung in ein besonderes Zentrum das rechtliche Gehör zu gewähren, und die Zuweisung muss mit einer beschwerdefähigen Verfügung angeordnet werden. Die Zuweisung aufgrund einer einseitig festgestellten «Störung oder Gefährdung» in ein besonderes Zentrum mit Ein- und Ausgrenzungen (also faktisch eine Art Präventivhaft) ist ein massiver Eingriff in elementare Grundrechte, die durch die Bundesverfassung und durch die EMRK geschützt sind. Damit hält ein Ausschluss von Beschwerdemöglichkeiten vor der Rechtsweggarantie (Art. 29a BV) und vor dem Recht auf effektive Beschwerde (Art. 13 EMRK) nicht stand.
Analog zu Rayon- und Kontaktverboten aufgrund häuslicher Gewalt wird der gute Ruf bei der Zuweisung in ein besonderes Zentrum tangiert, womit in den Schutzbereich von. Art. 6 Ziff. 1 EMRK eingegriffen wird (vgl. BGE 134 I 140, E 5.2).
In der vorliegenden Version beinhalten die Absätze 3-5 eine Rechtlosstellung der Betroffenen. Wenn eine Beschwerde gegen die Zuweisung in ein «besonderes Zentrum» erst als Beigabe zur Beschwerde gegen die Endverfügung möglich ist, wird sie praktisch folgenlos. Gegen eine Ein- oder Ausgrenzung nach Art. 74 AuG ist immerhin noch eine Beschwerde bei einer kantonalen richterlichen Behörde möglich, allerdings ohne aufschiebende Wirkung.
In jedem Strafverfahren haben die Betroffenen Parteirechte. Hier, wo es sich nicht um Straftaten handelt, sind jegliche Anhörungs- und Beschwerdemöglichkeiten bis zum Asylentscheid (Endverfügung) verunmöglicht. Ein solches Vorgehen würde von Bürgerinnen und Bürgern in anderen Situationen (Schulausschluss, Verkehrs- oder Umweltsünder) nie akzeptiert.
Wir hoffen, dass unsere Anmerkungen in die definitive Ausgestaltung dieser Asylverordnung einfliessen können und verbleiben mit freundlichen Grüssen
RA Viktor Györffy, Präsident grundrechte.ch
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