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Vernehmlassung von grundrechte.ch zur Totalrevision des Polizeigesetzes des Kantons Bern

22. Dezember 2016

Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern

Kramgasse 20

3011 Bern

info.pom@pom.be.ch

Vernehmlassungsantwort zum Entwurf «Polizeigesetz» (PolG)

Vernehmlassungsfrist 23. Dezember 2016

Sehr geehrter Herr Regierungsrat Käser

Sehr geehrte Damen und Herren

Gerne beteiligt sich der Verein grundrechte.ch an der Vernehmlassung über den Entwurf für das «Polizeigesetz (PolG)». Wir erlauben uns, nachfolgend einige Punkte aus unserer Sicht kritisch zu kommentieren. Im Weiteren verweisen wir auf die Vernehmlassungs-Antwort der überparteilichen Arbeitsgruppe (Präsentation vom 13. Dezember 2016).

grundrechte.ch ist der Ansicht, dass die Polizei bereits genügend Kompetenzen besitzt. Nur weil das Zusammenspiel zwischen Kanton und Gemeinden präzisiert werden soll, ist es stossend, dass diese Situation ausgenützt wird, um fragwürdige neue Kompetenzen für die Polizei zu schaffen, die - wenn überhaupt einzuführen - zunächst einer vertiefteren öffentlichen und fachlichen Diskussion bedürften (formlose Wegweisungen, Einschränkung Kundgebungsrecht uam.).

Nicht akzeptabel ist für uns die völlig ungenügenden Regelungen des Rechtsschutzes resp. die Tatsache, dass die bereits heute ungenügenden Bestimmungen nicht entsprechend den neu vorgesehenen Kompetenzen der Polizei ausgebaut werden. In diesem Sinne unterstützen wir die von verschiedenen Seiten verlangte Schaffung einer unabhängigen Polizeibeschwerdestelle. Insbesondere da der Kanton Bern im Gegensatz zu anderen Kantonen und Städten nach wie vor keine Ombudsstelle kennt bzw. entsprechende Forderungen vom Parlament immer wieder abgelehnt worden sind. Die Ombudsstelle der Stadt Bern hat mit der Kantonalisierung der Polizei ihre Kompetenzen bezüglich polizeilichen Handelns verloren. Daher ist die Schaffung einer kantonalen Polizei-Beschwerdestelle mehr als dringend notwendig, um den Bürgerinnen und Bürgern eine Möglichkeit zu geben, sich gegen aus ihrer Sicht unverhältnismässiges Handeln der Polizei wehren zu können, ohne gleich ein Anzeigeverfahren einleiten zu müssen. Eine solche Stelle ist sicher auch im Interesse der Polizeimitarbeitenden, da ihr Handeln auf diesem Wege überprüft und je nach Situation sogar gerechtfertigt werden könnte.

Kostenüberwälzung an Organisatoren von «Veranstaltungen» (Art. 31 und 33 E-PolG)

Der Gesetzesentwurf sieht in Art. 31 die Verrechnung der Kosten polizeilicher Leistungen durch die Gemeinde an Organisatoren von «Veranstaltungen» vor, wobei mit «Veranstaltungen» wohl hauptsächlich öffentliche (politische) Kundgebungen gemeint sind. Diese unterstehen jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts dem Schutz der Meinungsäusserungsfreiheit (Art. 16 BV) und der Versammlungsfreiheit (Art. 22 BV), beides zentrale Grundrechte unserer Bundesverfassung. In diesem Sinn existiert ein verfassungsmässiges Demonstrationsrecht. Beide Grundrechte sind auch von den Art. 10 und 11 EMRK sowie Art. 19 und 21 UNO Pakt II geschützt. grundrechte.ch lehnt daher die Kostenüberwälzung an Organisatoren von öffentliche Demonstration entschieden ab, weil dies einer Aushöhlung der verfassungs- und konventionsmässig geschützten Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit gleichkommen würde.

Aus denselben Gründen wie oben dargelegt lehnt grundrechte.ch auch Art. 33 E-PolG ab, welcher es den Gemeinden bei «Gewalttätigkeit» ermöglichen soll, die Kosten eines Polizeieinsatzes dem Veranstalter bis zu 30,000 Franken zu verrechnen. Ebenfalls lehnen wir es ab, dass auf Privatpersonen bis zu 30,000 Franken überwälzt werden sollen. Von dieser Bestimmung wären zahlreiche schweizerische Organisationen betroffen, die ihr Anliegen in der Hauptstadt vorbringen wollen. Angesichts einer solchen Kostendrohung und des nicht näher definierten Begriffs der «Gewalttätigkeit» mit Kostenfolge wären sie verunsichert oder sie würden gar dadurch abgehalten, eine Kundgebung durchzuführen. Dies kann aber nicht die Absicht eines Polizeigesetzes sein.

Art. 33 E-PolG orientiert sich offensichtlich an § 32b des Gesetzes über die Luzerner Polizei. Gegen dieses Gesetz ist vor Bundesgericht eine Beschwerde hängig. Das Luzerner Verwaltungsgericht hob bereits § 4 Abs. 4 der Polizeikostenverordnung des Kantons Luzern auf, weil er «vor der verfassungsmässig garantierten Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit nicht zu bestehen» vermag.

Ziele und Grundsätze polizeilichen Handelns (Art. 46 E-PolG)

In praktisch allen kantonalen Polizeigesetzen ist für polizeiliches Handeln das «Störerprinzip» festgeschrieben. Massnahmen der Polizei richten sich ausschliesslich gegen Störer. Es ist nicht ersichtlich, weshalb dies im Kanton Bern anders sein soll. Wir lehnen daher Artikel 46 E-PolG Absatz 3 ab. Polizeiliches Handeln hat sich ausschliesslich gegen den Verursacher zu richten. Eine Ausdehnung auf weitere Gruppen («Zweckveranlasser») würde automatisch zu willkürlichen Eingriffen und Verurteilungen führen.

Wegweisungen und Fernhaltungen (Art. 56 E-PolG)

grundrechte.ch lehnt seit ihrer Einführung Wegweisungen und Fernhaltungen von Personen aus dem öffentlichen Raum ab, da sie in erster Linie der sog. «City-Pflege» dienen. Sie bergen die Gefahr der Ausgrenzung und Vertreibung von Menschen in prekären Lebenslagen.

Insbesondere abzulehnen ist, dass im vorgeschlagenen Artikel 56 Abs. 1 lit. a E-PolG nun neu auf das Erfordernis einer Ansammlung von Personen verzichtet wird. Wieweit eine einzelne Person einzig durch ihre Anwesenheit die «öffentliche Sicherheit und Ordnung stören oder gefährden» könnte, läge in der willkürlichen Definitionsmacht der Polizei vor Ort.

In Bern wurden in der Vergangenheit immer wieder einzelne Personen weggewiesen, was die Rechtsprechung jeweils als unverhältnismässig eingestuft hat. Das Zusammenspiel zwischen Legislative, Exekutive und Judikative besteht nicht darin, dass die Exekutive jeden Entscheid der Judikative mit einem neuen Gesetzt umstösst, viel mehr hat die Exekutive die Judikative zu respektieren.

Wir sind ebenfalls klar dagegen, dass Wegweisungen bis zu 24 Stunden mündlich angeordnet werden sollen (Artikel 56, Abs. 5 E-PolG). Wegweisungen sind Verfügungen, die nach den Grundsätzen des Verwaltungsrechts in schriftlicher Form, versehen mit einer Rechtmittelbelehrung, zu ergehen haben. Dies bedingt seitens der Behörde in jedem Fall zwingend die notwendige Dokumentations- und Begründungspflicht und dient dem Rechtsschutz der betroffenen Personen. Bisherige Erfahrungen in der Stadt Bern zeigen, dass dieses Mittel der informellen Wegweisung in der Vergangenheit immer wieder angewendet worden ist, in aller Regel im Zusammenhang mit Kundgebungen oder Sportanlässen: Je nach Veranstaltung kontrolliert die Polizei widerrechtlich gezielt junge Leute oder AusländerInnen im öffentlichen Raum und weist sie informell aus einem bestimmten Perimeter für eine bestimmte Zeit weg. Da die betroffenen keine schriftliche Verfügung erhalten, können sie sich auch nicht gegen die Massnahme wehren.

Sicherheitsgewahrsam (Art. 65 E-PolG)

Beim Sicherheitsgewahrsam gemäss Art. 65, welcher bis zu 14 Tagen dauern können soll, handelt es sich um eine unzulässige Präventivhaft. Die Umschreibung «…stellt eine Person eine erhebliche Gefahr für die psychische, physische oder sexuelle Integrität einer oder mehrerer anderer Personen dar…» lässt sich keinem der zulässigen Haftgründe der abschliessenden Liste von Art. 5 Abs. 1 EMRK zuordnen. Der Sicherheitsgewahrsam ist somit konventionswidrig und daher ersatzlos zu streichen.

Observation (Art. 68 E-PolG)

Gemäss Art 68 Abs. 2 kann die Kantonspolizei technische Überwachungsgeräte einsetzen, um den Standort von Personen oder Sachen festzustellen. Die Art der Geräte ist nicht spezifiziert, aber es ist naheliegend, dass damit auch IMSI-Catcher* gemeint sind, da kürzlich die Anschaffung derartiger Geräte evaluiert wurde. Der Einsatz von IMSI-Catchern während eines Monats ohne gerichtliche Genehmigung wäre auf jeden Fall unverhältnismässig. Weil mit IMSI-Catchern eine grosse Anzahl unbeteiligter Personen mitüberwacht würde, wäre ein Einsatz zu präventiven Zwecken ausserhalb der StPO ebenfalls in Analogie zur Rechtsprechung des Bundesgerichts unverhältnismässig - s. Dazu die Causa Zürcher Oberstaatsanwaltschaft gegen Iris Ritzmann betreffend die Überprüfung von Festnetz- und Mobiltelefonanschlüsse sowie E-Mail-Konten (BGE 1B_26/2016 vom 29. November 2016). «Technische Überwachungsgeräte» sind daher im Gesetzestext näher zu bezeichnen und abschliessend aufzuzählen, unter Ausschluss von IMSI-Catchern.

*IMSI-Catcher sind Geräte, mit denen die auf der Mobilfunkkarte eines Mobiltelefons gespeicherte International Mobile Subscriber Identity (IMSI) ausgelesen und der Standort eines Mobiltelefons innerhalb einer Funkzelle eingegrenzt werden kann. Auch das Mithören von Mobilfunktelefonaten ist möglich (Quelle: Wikipedia).

Videoüberwachung (Art. 71 - 76 E-PolG)

grundrechte.ch lehnt ebenfalls Videoüberwachung im öffentlichen Raum ab. Nicht zuletzt die Videoüberwachung in Thun, welche inzwischen abgebrochen wurde, hat internationale Erfahrungen bestätigt, wonach Videokameras keine Sicherheit schaffen und nicht zu einem Rückgang von Straftaten führen. In Genf wurde die flächendeckende Videoüberwachung des Pâquis-Quartiers wissenschaftlich untersucht. Innert zwei Jahren hat die Kriminalität gemäss dieser Studie sogar leicht zugenommen. Ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der ganzen Bevölkerung lässt sich nicht damit rechtfertigen, dass damit angeblich das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung steigen würde.

Erbringen von Sicherheitsdienstleistungen durch Private (Art. 108 ff E-PolG)

grundrechte.ch ist der klaren Ansicht, dass das Gewaltmonopol beim Staat bleiben muss. Sicherheitspolizeiliche Aufgaben dürfen nicht an Dritte delegiert werden. Art. 110 Abs. 3 ist daher ersatzlos zu streichen («Vorbehalten bleiben im Einzelfall Massnahmen als Erfüllungsgehilfen der Polizei…»).

Absolut unverständlich ist, dass das E-PolG weder eine Bewilligungspflicht für die Mitarbeitenden eines Sicherheitsunternehmens vorsieht noch eine Fachprüfung für Geschäftsführende und Mitarbeitende verlangt. Das Gesetz muss demnach dahingehend präzisiert werden, dass - wie in den meisten Kantonen - nur Sicherheitsdienstleistungen erbringen darf, wer eine Prüfung abgelegt und eine Bewilligung erhalten hat. Die Bewilligung ist periodisch zu überprüfen und allenfalls zu erneuern. Bewaffnete Einsätze von privaten Sicherheitsunternehmen lehnen wir klar ab.

Grundsätzlich ist die Regelung von privaten Sicherheitsdiensten im Polizeigesetz problematisch, weil sich dadurch Sicherheitsdienstleister und Polizei auf der gleichen Stufe gegenüberstehen. grundrechte.ch regt daher an, das Erbringen von Sicherheitsdienstleistungen durch Private in einem separaten Erlass zu legiferieren.

Staatsschutz (nicht im E-PolG)

Wie viele andere Kantone verfügen sowohl der Kanton Bern als auch die Stadt Bern über eine eigene Staatsschutzabteilung. Allerdings fehlt bisher eine gesetzliche Grundlage dazu. Diesbezüglich hat die Geschäftsprüfungskommission des Grossen Rates eine Motion mit dem Titel «Der kantonale Staatsschutz braucht eine kantonale Rechtsgrundlage» eingereicht. Da die Aufgaben des Staatsschutzes von Angehörigen der Polizei wahrgenommen werden, drängt sich in dieser Hinsicht eine Erweiterung der Totalrevision des Polizeigesetzes auf. Auch wenn einzelne Handlungen von Beamten durch das BWIS resp. neu durch das NDG gedeckt sind, müssen die kantonale Organisation der Nachrichtendienste und vor allem die parlamentarische Aufsicht unbedingt auf Gesetzesstufe geregelt werden.

Wir hoffen, dass unsere Anregungen in die weitere Ausgestaltung des Poliizeigesetzes einfliessen werden.

Mit freundlichen Grüssen

Viktor Györffy , Präsident grundrechte.ch

Catherine Weber, Geschäftsführerin grundrechte.ch

 

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