Bundesgesetz über die Verwendung von DNA-Profilen

27. November 2019

EJPD

Frau Bundesrätin Karin Keller-Sutter

3003 Bern

kd-rechtsabteilung@fedpol.admin.ch

Vernehmlassungsantwort zum Entwurf des «Bundesgesetz über die Verwendung von DNA-Profilen im Strafverfahren und zur Identifizierung von unbekannten oder vermissten Personen (DNA-Profil Gesetz)» Vernehmlassungsfrist 30. November 2019

Sehr geehrte Frau Bundesrätin

Sehr geehrte Damen und Herren

Gerne beteiligt sich der Verein grundrechte.ch an der Vernehmlassung über den Entwurf für das «Bundesgesetz über die Verwendung von DNA-Profilen im Strafverfahren und zur Identifizierung von unbekannten oder vermissten Personen». Wir erlauben uns, nachfolgend einige Punkte aus unserer Sicht kritisch zu kommentieren.

I. Allgemeine Ausführungen

Mittels sogenannter Phänotypisierung sollen zukünftig Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie die «biogeografische» Herkunft und das biologische Alter aus Tatortspuren herausgelesen werden dürfen. Um an diese Merkmale zu gelangen, muss auf die gesamte Erbinformation eines Menschen zugegriffen werden. Die betroffene Person wird so auf die individuellen Eigenschaften durchleuchtet und zum gläsernen Menschen. Grund für die gesetzgeberische Tätigkeit ist, dass die neue DNA-Analyse die Fahndung der Strafverfolgungsbehörde erleichtern soll.

Für grundrechte.ch ist ein solch schwerer Eingriff in das verfassungsmässig garantierte Recht auf informelle Selbstbestimmung nicht gerechtfertigt. Unserer Ansicht nach fehlt es an einem genügend gewichtigen öffentlichen Interesse, weshalb die Zwangsmassnahme unverhältnismässig ist. So fehlt auch der Nachweis, dass die Methode wirklich geeignet ist, vermehrt schwere Straftaten aufzuklären. Ausserdem besteht das grosse Problem, dass mit der Phänotypisierung die institutionelle Diskriminierung von Minderheiten in der Schweiz verstärkt wird, denn die Aussage «Hautfarbe: weiss; Herkunft: Europa» bietet in einer europäisch weissen Mehrheitsgesellschaft keinen Ansatz für eine Fahndung. Es ist zu befürchten, dass vor allem gewisse Bevölkerungsgruppen systematisch unter Generalverdacht gestellt werden, wenn mit den Erkenntnissen aus der erweiterten DNA-Analyse gefahndet wird - insbesondere, wenn dies öffentlichkeitswirksam geschieht.

Abschliessend fassen wir zusammen, dass die Ausweitung der DNA-Analyse mittels Phänotypisierung zur Fahndung diskriminierend und ungeeignet ist, über das Notwendige hinaus geht und somit unverhältnismässig ist.

II. Zur Ausweitung der DNA-Analyse mittels Phänotypisierung

grundrechte.ch lehnt die vorgesehene Erweiterung des DNA-Gesetzes ab. Bereits bei der Einführung des DNA-Gesetzes vor mehr als 15 Jahren wollte der Bundesrat die Möglichkeit schaffen, dass die Strafverfolgungsbehörden auf die «codierten Abschnitte» der DNA zugreifen hätten können, um individuelle Merkmale wie die Haar- oder Augenfarbe herauszulesen. Dagegen wehrte sich die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats und hat dieses «Türchen […] zu Recht zugemacht».1 Zu gross waren die grundrechtlichen Bedenken!

Die Phänotypisierung stellt wie jede erkennungsdienstliche Massnahme einen Grundrechtseingriff in die persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) und in die Privatsphäre der betroffenen Personen dar (Art. 13 BV, Art. 8 EMRK und Art. 17 UNO-Pakt II), insbesondere in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 13 Abs. 2 BV). Im Gegensatz zur DNA-Profilerstellung ist die Phänotypisierung ein schwerer Grundrechtseingriff.2 Denn im Unterschied zum DNA-Profil muss bei der Phänotypisierung auf die ganze DNA-Information zugegriffen werden. Das Durchleuchten der gesamten Erbinformation, die materielle Basis der Grundinformation über die individuellen Eigenschaften jeder Person, macht uns zu gläsernen Menschen. Insbesondere können dabei andere Informationen, wie zum Beispiel zum Gesundheitszustand, anfallen.

Der Bundesrat begründet die Erweiterung des Gesetzes damit, dass die Technologie grosse Fortschritte gemacht habe und zur Effizienzsteigerung der Strafverfolgungsbehörde der Zugriff auf die gesamte Erbinformation gerechtfertigt sei. Für grundrechte.ch steht der massive Grundrechtseingriff in keinem Verhältnis zu dem «erwarteten Effizienzgewinn» der Strafverfolgungsbehörde.

Phänotypisierung als Fahndungsmittel ist diskriminierend und ungeeignet

Mit der Phänotypisierung von am Tatort gefundenen DNA-Spuren will der Bundesrat ein neues Mittel für die Fahndung schaffen. Es ist fraglich, ob die vorgeschlagene Massnahme wirklich geeignet ist, um das Ziel einer «effizienten Fahndung» zu erreichen. Im Gegensatz zur bestehenden DNA-Analyse besteht der Zweck der Phänotypisierung nicht in der Identifizierung von verdächtigen Personen oder der Beweisführung, vielmehr soll mit wahrscheinlichen Aussagen zu Haar-, Augen- und Hautfarbe sowie der «biogeografischen Herkunft» und des Alters gefahndet werden, d.h. verdächtige Personen erst eruiert werden. Damit geht der Zweck der Phänotypisierung über die in Art. 1 Abs. 2 DNA-Profil-Gesetz festgeschriebenen Zwecke hinaus und verstösst somit gegen das Bestimmtheitsgebot. Das BGer forderte jüngst, dass im Gesetz der Verwendungszweck, der Umfang der Erhebung sowie die Aufbewahrung und Löschung der erhobenen Daten hinreichend bestimmt sind.3

Da die Haar- und Augenfarbe leicht verändert werden können, bleiben für die Fahndung die Wahrscheinlichkeitsaussagen zur Hautfarbe und zur «biogeografischen Herkunft» von grösster praktischer Bedeutung. Gerade bei diesen Merkmalen stellen sich aber rechtstaatliche und demokratiepolitische anspruchsvolle Fragen.

Die Polizei steht immer wieder in der Kritik, rassistisches Profiling zu betreiben.4 Diese zielgerichtete Kategorisierung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder ethnischen Herkunft betrifft vor allem Minderheiten. Mit der Phänotypisierung von DNA-Tatortspuren wird die institutionelle Diskriminierung von Minderheiten verstärkt. Denn die Aussage «Hautfarbe: weiss; Herkunft: Europa» in einer europäisch weissen Mehrheitsgesellschaft bietet keinen Ansatz für eine Fahndung. grundrechte.ch befürchtet daher, dass durch die Ergebnisse der Phänotypisierung gewisse Bevölkerungsgruppen systematisch unter Generalverdacht gestellt werden. In Verbindung mit der Möglichkeit von Massenuntersuchungen gemäss Art. 256 VE-StPO ist zukünftig mit vermehrter rassistischer Stimmungsmache und verstärktem institutionellen Rassismus zu rechnen. Bereits heute wird die DNA-Massenuntersuchung stark kritisiert, da es zu einer Beweislastumkehr führt und gegen den Grundsatz «in dubi pro reo» verstösst. So müssen Personen «freiwillig» ihre Unschuld beweisen und nicht die Strafverfolgungsbehörden ihre Schuld. Gemäss Bundesrat könne der Adressatenkreis einer Massenuntersuchung durch Phänotypisierung verkleinert werden, gleichzeitig steigt damit aber das Risiko, dass für Minderheiten in der Schweiz das Prinzip der Unschuldsvermutung faktisch aufgehoben wird. Der Bericht äussert sich zur latenten Gefahr der Diskriminierung gewisser Bevölkerungsgruppe nicht. Der Schutz des Einzelnen vor Diskriminierung ist höher zu gewichten als der unklare Nutzen der Phänotypisierung.

Der Bericht ist insofern widersprüchlich, da zwar behauptet wird, dass das Analyseergebnis «in keines der polizeilichen Informationssysteme» gelange, während an anderer Stelle festgehalten wird, dass die Phänotypisierung die Fahndung unterstütze und im RIPOL «Signalemente unbekannter Täterschaft» ausgeschrieben werden könne (Art. 3 Bst. h RIPOL-Verordnung) und so Erkenntnisse aus der Phänotypisierung sehr wohl den Weg in polizeiliche Informationssysteme finden.

Die Vermischung von «Aussehen, Ethnizität und Herkunft» ist sehr problematisch und produziert rassifizierende Aussagen. Dieses Problem ist bereits in der wissenschaftlichen Methode selbst angesiedelt. Gemäss WissenschaftlerInnen sind die Datensätze in den Datenbanken, die zum Abgleich herangezogenen werden, nicht nur von sehr unterschiedlicher Qualität, da sie auf «Stichproben basieren und für viele Regionen fehlen»5, sondern gehen die «Zuschreibung von Ethnizität und geografischer Herkunft sehr vermischt in die Datensätze ein»6. Hinzukommt die Schwierigkeit und Unsicherheit der Bestimmung einer «genetischen Herkunft» aufgrund der genetischen Variabilität und der Geschichte der Migrationsbewegungen.

Deutsche WissenschaftlerInnen haben aufgezeigt, dass die Phänotypisierung bei Minderheiten besonders unsicher ist.7 Wie dargelegt ist es aber gerade diese Gruppe, die fahndungstechnisch überhaupt einen Ansatz bietet.

Die Wahrscheinlichkeitszahlen des erläuternden Berichts suggerieren eine hohe Vorhersagewahrscheinlichkeit für Haar-, Haut-, und Augenfarbe. Die Angabe von z.B. 69 Prozent für blonde Haare bezieht sich darauf, zu berechnen, wie häufig mit einem Testverfahren eine schon bekannte Eigenschaft bei einer Person statistisch vorhersagbar sei («likelihood»). Diese Zahlen sagen jedoch nichts darüber aus, wie hoch die Vorhersagewahrscheinlichkeiten bei einer realen Bevölkerung mit unbekannter Verteilung dieser Eigenschaften ist («a-posteriori-Wahrscheinlichkeit»). Das Irrtumspotenzial der Methode ist hoch und zeigt sich an folgendem Beispiel:

In einem Dorf mit 1’000 hellhäutigen und 20 dunkelhäutigen Menschen ergäbe sich bei einer likelihood von 98 Prozent für die Vorhersage der Hautfarbe, d.h. bei einer Fehlerrate von zwei Prozent, genauso viele falsch dunkelhäutig vorausgesagte hellhäutige Personen (nämlich 20 sogenannte false positives), wie richtig vorhergesagte dunkelhäutige Personen. Damit läge eine a-posteriori-Voraussagewahrscheinlichkeit von 50 Prozent vor.8

Neben grund- und datenschutzrechtlichen Bedenken gibt es zahlreiche methodische Bedenken zu rassifizierenden Aussagen und falschen Vorstellungen bei der statistischen Vorhersagewahrscheinlichkeit.

Die Phänotypisierung als Fahndungsmittel geht weit über das Notwendige hinaus

Der Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte hat bereits im Sommer 2018 festgehalten, dass der «Nutzen einer Anpassung des DNA-Profil-Gesetzes nicht gegeben ist» und empfahl zumindest die «Beschränkung auf Sonderfälle und die Anordnung durch ein Gericht»9. Mit der Regelung zum «Verwendungsverbot des genetischen Überschussmaterials», der «Beschränkung auf Verbrechen» und der «Anordnung durch die Staatsanwaltschaft» hat der Bundesrat die vom EDÖB empfohlenen Leitplanken nicht mal ansatzweise beachtet, sondern vor allem die Interessen der Strafverfolgungsbehörde berücksichtig.

Der Vorentwurf reiht sich in eine Reihe von straf- und polizeirechtlichen Verschärfungen der letzten Jahre ein, in denen grundrechtliche Bedenken zugunsten einer «effizienteren Behörde» beiseitegeschoben werden. Die gesetzgeberische Spirale kennt hier aber nur einen Weg: Stehen repressive Massnahmen erst einmal im Gesetz, werden sie normalisiert und mit der Zeit verschärft!

Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz waren die Auslöser für die gesetzgeberische Tätigkeit ausserordentliche Gewaltverbrechen, die die Öffentlichkeit erschüttert haben. In vielen Kommentaren und seitens der Polizei wird suggeriert, dass die Phänotypisierung die letzte Chance gewesen wäre, um die Verbrechen aufzuklären. Die Hoffnungen der VertreterInnen der Polizei in die «neue» Technik sind dann auch gross. Das fedpol spricht von der «DNA-Analyse der Zukunft» und in den USA werben einige Firmen bereits damit, dass das Erscheinungsbild einer Person allein aus der DNA herausgelesen werden kann.10 Die Strafverfolgungsbehörde und die Politik wissen solche Gewaltverbrechen für die eigene Sache zu nutzen. So forderte der Polizeikommandant der Kantonalpolizei Bern, Stefan Blättler: «Nach einer Vergewaltigung sollte man alle Möglichkeiten ausschöpfen dürfen.» Mit solchen Aussagen werden in der Bevölkerung Hoffnungen geweckt, die in der Praxis aber nicht eingehalten werden können.

Zwar wird in der Öffentlichkeit suggeriert, dass die Phänotypisierung nur auf schwere Gewaltdelikte angewendet werden soll, auf ein Deliktskatalog wird aber verzichtet. Momentan besteht die Möglichkeit die Phänotypisierung auf «Verbrechen» anzuwenden. Damit wäre die Phänotypisierung auch bei Diebstahl (Art. 139 StGB), grosser Sachbeschädigung (Art. 144 StGB) oder etwa bei Betrug (Art. 146 StGB) möglich. Die Schwere des Grundrechtseingriffs der Zwangsmassnahme rechtfertigt eine solche breite Anwendung nicht und muss daher zwingend auf «schwere Gewaltverbrechen» mittels abschliessendem Deliktskatalog eingegrenzt werden.

Auch das DNA-Profil-Gesetz sollte ursprünglich der Aufklärung von schweren Straftaten dienen. Gemäss der Botschaft zum DNA-Profil-Gesetz vom 8. November 2000 sollte die DNA-Analyse hauptsächlich bei schwersten Straftaten gegen Leib, Leben und körperliche Integrität, bei denen Täter und Opfer im eigentlichen Sinn gewaltsam aufeinandertreffen und sich gegenseitig und das Umfeld mit Spuren versehen, eingesetzt werden. Die Realität sieht aber anders aus! Wie die Statistik für das Jahr 2018 zeigt, wurden in der DNA-Datenbank schweizweit 5054 Treffer erzielt, in 3384 dieser Fälle ging es um Diebstahl und Einbrüche, in 651 um Drogendelikte. Demgegenüber in nur 76 der Fälle um Mord oder Tötung, in 104 Fällen um Sexualstraftaten. Bei Entführung, Geiselnahme und Menschenhandel gab es gar keine Treffer.11

grundrechte.ch befürchtet daher, dass die Phänotypisierung zukünftig hauptsächlich der Aufklärung von Diebstahls- und Einbruchsdelikten dient. Damit wäre unseres Erachtens die Eingriffswirkung zum Eingriffszweck klar unverhältnismässig.

Ein Interesse an einer hohen Anzahl Anordnung der Phänotypisierung haben sowohl die Strafverfolgungsbehörde als auch die Labors, in denen diese Methode angewendet wird. Denn nur schon die Anschaffungskosten für die nötigen Geräte und Analysekits liegen in der Grössenordnung von 300,‘000 bis 500,000 Franken.

Für grundrechte.ch stellt sich die Frage, ob die Phänotypisierung überhaupt für die Praxis der polizeilichen Fahndung erforderlich ist, wenn es nicht um eine breite Anwendung gehen soll. Der Bericht erwähnt gewisse faktische Grenzen, die der Phänotypisierung in der Praxis gesetzt sind, etwa beim Problem von «Mischspuren» oder bei der Ermittlung der richtigen DNA, d.h. der DNA-Spur «täterischen Ursprungs».

Einzelbeispiele, wie jenes im Bericht, vermögen die Notwendigkeit der Ausweitung des DNA-Profil-Gesetzes wohl kaum begründen. Das zeigen praktische Erfahrungen aus Deutschland. So etwa hat das Bundesland Bayern, das in seinem Polizeigesetz die Phänotypisierung der Merkmale Haar-, Augen- und Hautfarbe bis jetzt zulässt, nach Kritik einer vom Innenministerium eingesetzten Expertenkommission, angekündigt, dass das Gesetz anzupassen sei.12 Die Expertenkommission kommt in ihrem Bericht zum Schluss, dass aufgrund des «geringen praktischen Anwendungsbereiches» und des «begrenzten polizeilichen Mehrwerts», die «Notwendigkeit der gesetzlichen Vorschrift [der Phänotypisierung]» zu hinterfragen sei.13

grundrechte.ch lehnt deshalb aus den genannten Gründen die drastische Erweiterung der DNA-Analyse mittels Phänotypisierung ab. Die Risiken für die Gesellschaft sind weitaus grösser als die potenziell mögliche Effizienzsteigerung für die Strafverfolgungsbehörde. Insbesondere werden mit solchen Methoden rassifizierende Aussagen produziert und der institutionellen Diskriminierung Vorschub geleistet.

In einer demokratischen und freiheitlichen Gesellschaft sollte der Einsatz moderner wissenschaftlicher Techniken nicht um jeden Preis und ohne sorgfältige Abwägung zugelassen werden. Diese Verwantwortung hebt auch der EGMR hervor: «Tout Etat qui revendique un rôle de pionnier dans l’évolution de nouvelles technologies porte la responsabilité particulière de trouver le juste équilibre en la matière»14.

III. Erweiterter Suchlauf mit Verwandtschaftsbezug

grundrechte.ch begrüsst, dass die extensive Auslegung des Bundesstrafgerichts zur StPO und dem DNA-Profil-Gesetz zur Verwandtensuche in der DNA-Profildatenbank nun endlich eine gesetzliche Grundlage erhält. Fragwürdig ist, ob die Vorgeschlagene Regelung grundrechtskonform ist, insbesondere unter Berücksichtigung strafprozessualer Rechte.

In der anwaltschaftlichen Praxis zeigt sich häufig das Problem, dass DNA-Analyseergebnisse gegenüber Verdächtigen oftmals nicht als Wahrscheinlichkeitsaussagen, sondern fälschlicherweise als Tatbeweis dargetan werden, umso Druck auf Verdächtigte auszuüben. Mit dem erweiterten Suchlauf mit Verwandtschaftsbezug sollen sich zukünftige Ermittlungen nicht nur mehr gegen die SpurenlegerIn richten, sondern im Falle von sogenannten «Beinahetreffern» auch gegen Verwandte. Es handelt sich dabei eigentlich um eine biologisch motivierte Massenuntersuchung. Dadurch können unschuldige Personen in die Ermittlungstätigkeit der Polizei einbezogen werden, die einzig aufgrund eines ähnlichen DNA-Profils mithereingezogen werden.

Der Bundesrat hat auf eine genaue strafprozessuale Regelung der Verwandtenrecherche verzichtet und will das genau Vorgehen der polizeilichen Ermittlungstätigkeit überlassen. Insbesondere verzichtet der Bundesrat darauf, zu regeln, wie die Ermittlungsbehörden die Verwandten der SpurenlegerIn, d.h. also deren Eltern, Kinder und Geschwister kontaktieren. Für grundrechte.ch bedarf es zur Sicherstellung der strafprozessrechtlichen Rechte zwingend genauere Regelungen in der StPO und dem DNA-Profil-Gesetz.

Um die Ausdehnung der problematischen Figur der Auskunftsperson (StPO 178 ff.) einzuschränken, muss zwingend in der StPO geregelt werden, ob es sich bei den «Verwandten» um Auskunftspersonen oder Zeugen handelt, da damit wichtige strafprozessrechtliche Rechte verbunden sind. Der Bundesrat unterscheidet den Status der Person danach, ob sie von der Polizei oder von der Staatsanwaltschaft einvernommen wird. Nur in letzterem Fall würde sie als Zeuge vernommen und habe entsprechende Zeugnisverweigerungsrechte.15 Diese Vorstellung zeigt den problematischen Umgang der Strafverfolgungsbehörde mit diesen Rechtsfiguren. Beim Zeugenbegriff handelt es sich aber nicht um einen formellen, sondern um einen materiellen Begriff, d.h. ein Zeuge darf weder Täter noch Teilnehmer sein.

grundrechte.ch fordert ausserdem, dass im DNA-Profil-Gesetz zwingend festgehalten wird, wie viele Übereinstimmung der «Beinahetreffer» in der Profil-Datenbank aufweisen muss, d.h. bis zu welchem Grad ein Abgleich erlaubt ist. Nur mit einer gesetzlichen Regelung kann die Grösse der Gruppe von Verwandten, die ins Visier der Ermittlungen geraten eingeschränkt werden. Ansonsten verfügt die Strafverfolgungsbehörde über ein zu grosses Ermessen bei der Erstellung des Stammbaums und der Kontaktaufnahme. Dies ist insbesondere unter dem Blickwinkel heikel, dass der Bundesrat die Erleichterung der DNA-Profilerstellung in die laufende StPO-Revision aufnehmen will.16 Das BGer hat die rechtswidrige und ausufernde Praxis der Polizei zur DNA-Profilerstellung unterbunden.17 Sollte zukünftig die Polizei für die Anordnung von DNA-Profilen zuständig sein, ist damit zu rechnen, dass die Zahl an DNA-Profilen in der Datenbank rasant steigt und deshalb auch mehr «Verwandte» ins Visier der polizeilichen Ermittlung geraten. Das Problem der Ausdehnung der «Verwandtensuche» zeigt sich am Beispiel von Deutschland, wo sich bereits 1 Prozent der Deutschen in der DNA Datenbank befinden. Rein statistisch befindet sich ein Verwandter dritten Grades in der deutschen DNA-Datenbank. Über den Umweg von «Beinahetreffern» ist theoretisch jeder Einwohner und jede Einwohnerin Deutschlands via DNA-Analyse ermittelbar.18

Aufgrund dieser wichtigen strafprozessrechtlichen Fragen und des nähren Sachzusammenhangs der «Verwandtenrecherche» mit der StPO als mit dem DNA-Gesetz, fordert grundrechte.ch, dass diese Änderungen nicht getrennt von der StPO-Revision behandelt werden.

IV. Neuregelung der Aufbewahrungsfristen für DNA-Profile

Die Neuregelung wird damit begründet, dass die aktuelle Norm sehr aufwendig sei. Dem ist entgegenzuhalten, dass ausschliesslich Personen betroffen sind, welche durch einen Strafbefehl oder gar ein Gerichtsverfahren verurteilt wurden. Im Verhältnis zum mehrmonatigen Verfahren erscheint der Aufwand zur Ermittlung der Löschfrist marginal und rechtfertigt keine Änderung, schon gar nicht eine Verschärfung.

>Die Verlängerung der Aufbewahrungszeit des genetischen Materials wird u. a. mit Nachtypisierungen begründet, etwa weil nach neuen Standards mehr Loci bearbeitet werden. Dem ist entgegenzuhalten, dass eine Zwangsmassnahme nur zu den Bedingungen erfolgen darf, die bei deren Anordnung gesetzlich zulässig waren. Was der Bundesrat vorschlägt, dass nämlich eine DNA-Probe während 15 Jahren immer nach den geltenden Standards nachtypisiert werden soll, widerspricht dem Legalitätsprinzip und dem Rückwirkungsverbot.

>Unseres Erachtens geht auch der Vergleich mit Tatortspuren, die heute schon 15 Jahre aufbewahrt werden dürfen, fehl. Denn bei Tatortspuren ist der Täter nicht bekannt, bei DNA-Proben ist aber eine bestimmte Person bekannt. Wenn also eine Nachtypisierung erforderlich wäre, könnte jederzeit wieder eine Probenahme angeordnet werden, sofern dies nach den gesetzlichen Voraussetzungen zulässig wäre. Ansonsten handelt es sich bei der Nachtypisierung um einen Blankocheck an die Strafverfolgungsbehörde, das würde aber im Widerspruch zu den Grundsätzen der StPO (Art. 196 ff. StPO) stehen. grundrechte.ch lehnt deshalb die Ausdehnung der Aufbewahrungsfristen der DNA-Proben (Art. 9 und 9a VE-DNA-Profil-Gesetz) für das Labor ab.

Eine Nachtypisierung stellt ebenfalls eine Zwangsmassnahme dar und muss den gleichen Voraussetzungen genügen, wie bei der Erstellung eines DNA-Profils. grundrechte.ch steht der «Vereinfachung» der Löschfristen kritisch gegenüber. Sie darf nicht dazu führen, dass durch die Hintertür die Fristen für die Aufbewahrung verlängert werden. Zur klareren Trennung von verwaltungsrechtlichen (DNA-Profil-Gesetz) und strafprozessualen (StPO) Inhalten, gehört unserer Meinung nach die Regelung zur Nachtypisierung in die StPO. Ansonsten verfehlt die Vorlage ihr angestrebtes das Ziel, die Doppelspurigkeiten zwischen DNA-Profil-Gesetz und StPO zu beseitigen.

Wir hoffen, dass unsere Anmerkungen in den Gesetzgebungsprozess einfliessen können und verbleiben mit freundlichen Grüssen

RA Viktor Györffy, Präsident grundrechte.ch

Bern, den 27. November 2019

1 Felix Gutzwiller (FDP), Amtliches Bulletin 2002, S. 1227.

2 Aufgrund der Fülle an Informationen, die die Zellproben über den einzelnen Menschen besitzen, qualifiziert der EGMR dies als schweren Eingriff in Art. 8 EMRK; EGMR, S. und Marper gegen Vereinigtes Königreich, Ziff. 72 ff.

3 Vgl. dazu die vom BGer geforderte hinreichende Bestimmtheit von Normen bei Grundrechtseingriffen, BGer, 6B_908/2018 vom 7. Oktober 2019, E.3.3.1, zur Publikation vorgesehen.

4 Vgl. zum Begriff und zur Problematik die Darstellung auf der Informationsplattform humanrights.ch, [https://www.humanrights.ch/de/menschenrechte-themen/rassismus/rassistisches-profiling/begriff/].

5 SRF Online vom 27. August 2019, [https://www.srf.ch/news/schweiz/dna-tests-als-fahndungsmittel-oeffnet-der-bundesrat-die-buechse-der-pandora].

6 Susanne Schultz und Isabelle Bartmann, Erweiterte DNA-Analyse, Bürgerrechte & Polizei/CILIP, 2017 Nr. 113.

7 In Deutschland hat sich eine Initiative von WissenschaftlerInnen gegründet, deren Ziel es ist, die Risiken, Fehleranfälligkeiten und ethische Problematiken der Phänotypisierung der Öffentlichkeit darzulegen, vgl. dazu die Webseite der Initiative, [www.wie-dna.de].

8 Susanne Schultz und Isabelle Bartmann, Erweiterte DNA-Analyse, Bürgerrechte & Polizei/CILIP, 2017 Nr. 113.

9 25. Tätigkeitsbericht des EDÖB 2017/18, S. 20.

10 Daniel Gerny, DNA-Spuren, NZZ Online vom 07. August 2019 [https://www.nzz.ch/schweiz/dna-spuren-sollen-der-polizei-bald-hautfarbe-und-herkunft-verraten-ld.1498187].

11 Merièm Strupler, Wenn der Staat dein Erbgut kennt, WOZ Online vom 05. September 2019.

12 Zeit Online, Bayern kündigt Änderungen am umstrittenen Polizeigesetz an, 30. August 2019 [https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-08/polizeiaufgabengesetz-bayern-kritik-kommission-aenderungen-joachim-herrmann].

13 Kommission zur Begleitung des neuen bayerischen Polizeiaufgabengesetzes, Abschlussbericht vom 30. August 2019 [https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2019/08/Abschlussbericht-bayerisches-Polizeigesetz-PAG-Kommission-August-2019.pdf].

14 EGMR, S. und Marper gegen Vereinigtes Königreich, Ziff. 112 ff.

15 Erläuternder Bericht, S. 28.

16 Sollte die Erleichterung der DNA-Profilerstellung wirklich vom Bundesrat in die laufende StPO-Revision aufgenommen werden, braucht es unserer Meinung nach dafür zwingend eine neue Vernehmlassung, bevor der Gesetzesentwurf dem Parlament überwiesen wird.

17 Vgl. BGE 141 IV 87.

18 Susanne Schultz und Isabelle Bartmann, Erweiterte DNA-Analyse, Bürgerrechte & Polizei/CILIP, 2017 Nr. 113.

 

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