Bündner wollten Journalisten zensieren

1. Februar 2011

Lukas Mäder, 20 Minuten

Im Rahmen eines WEF-Einsatzes verlangten Polizisten von einem englischen Journalisten, dass er Bilder löscht - zu Unrecht. Die Polizei sucht nach Erklärungen.

Am Samstagnachmittag suchen Polizisten in einem Zug von Davos nach Landquart nach möglichen Teilnehmer einer gewalttätigen Anti-WEF-Demonstration. Im Zug sitzt auch ein englischer Journalist, der Aufnahmen der Kontrolle macht. Dies passt der Polizei jedoch nicht. Sie nehmen den Journalisten ebenfalls zu einer Personenkontrolle mit, obwohl er keineswegs wie ein Demonstrant aussieht. Bei der Vernehmung verlangen die Polizisten, dass er die Bilder löscht und Notizen vernichtet - obwohl sie dazu kein Recht haben.

Dass Polizisten in der Schweiz in juristischen Belangen nicht immer sattelfest sind, hat ein Journalist der englischen Zeitung «The Guardian» bei seiner Abreise vom WEF in Davos erlebt. Der Wirtschaftsredaktor Andrew Clark war am späteren Samstagnachmittag im Zug unterwegs nach Landquart, als Polizisten in Kampfmontur den Zug in Fideris stoppten und die Passagiere kontrollierten. Grund waren Teilnehmer der Anti-WEF-Demonstration, die sich nach gewalttätigen Angriffen auf die Polizei zumindest teilweise in diesem Zug aus Davos absetzten. Clark macht mit seinem Smartphone-Aufnahmen von der Polizeiaktion, wie er in einem Bericht schreibt. Das passt den Polizisten jedoch nicht. Sie fordern ihn auf auszusteigen, wo ihm sofort mit Kabelbindern die Hände hinter dem Rücken zusammengebunden werden. Damit beginnt seine dreistündige Erfahrung in polizeilichem Gewahrsam.

«Ich dachte, sie wollten ausserhalb des Zuges kurz meine Personalien kontrollieren», sagt Clark zu 20 Minuten Online. Nach der Arretierung sagt er sofort, dass er Journalist sei. Die Polizisten antworteten, er sehe aus wie ein typischer Demonstrant. «Das ist ironisch», sagt Clark. Er habe einen Markenmantel getragen und einen Rollkoffer dabeigehabt. Laut Polizeisprecher Thomas Hobi sass Clark am falschen Ort unter Demonstranten. Man habe nur die hinteren zwei Waggons des Zuges kontrolliert. Clark widerspricht dieser Darstellung. Zwar seien in seinem Waggon viele Demonstranten gesessen, aber um ihn herum seien normale Gäste gewesen, darunter auch Skifahrer. Diese seien nicht mitgenommen worden.

Warten auf dem Boden der Tiefgarage

Der Presseausweis nützte Clark nichts. Er musste zusammen mit den mutmasslichen Demonstranten im Polizeiwagen nach Landquart fahren. Insgesamt habe die Polizei rund 60 Personen auf den dortigen Polizeiposten gebracht, wo sie fotografiert und ihre Personalien aufgenommen wurden, wie Polizeisprecher Thomas Hobi sagte. Die Fesselung sei das übliche Vorgehen bei einer so grossen Personenkontrolle. Offenbar war die Polizei in Landquart auch räumlich überfordert. Clark musste zusammen mit den übrigen Personen rund eine Stunde lang auf dem Boden der Tiefgarage sitzen. Sprechen war ihnen verboten.

Dass die Polizisten Clark mitgenommen haben, weil er die Aktion im Zug fotografierte, darauf deutet auch das Vorgehen bei der Vernehmung hin. Ein Offizier habe ihm befohlen, die Aufnahmen der Polizeiaktion zu löschen und die entsprechenden Seiten aus seinem Notizbuch zu reissen. Wenn er das tue, könne er gehen, sonst müsse er bleiben, habe der Polizist laut Clark gesagt. Als der Journalist sich weiterhin weigerte und stattdessen verlangte, dass er einen Telefonanruf machen könne, haben sich die Polizisten beraten. Laut Clarks Schilderung führte der Offizier daraufhin selbst ein Telefongespräch und liess ihn danach gehen.

Löschung unrechtmässig verlangt

Die Kantonspolizei Graubünden bestätigt den Vorfall und stellt klar: «Auf öffentlichem Grund darf man in Graubünden auch Polizisten fotografieren.» Dass somit unrechtmässig ein Polizeioffizier die Löschung der Aufnahmen verlangt hat, versucht Sprecher Hobi positiv zu deuten: «Die Polizisten haben von Clark gewünscht, dass er die Bilder lösche, weil darauf auch unschuldige Personen zu sehen sind.» Es sei um den Persönlichkeitsschutz von Unbeteiligten gegangen. Clark widerspricht: «Es war eine Aufforderung.» Zudem hätten die Polizisten auch die Vernichtung von Notizen gefordert, auf denen ja keine Personen zu erkennen waren.

Als mögliche Erklärung führt Hobi auch an, dass Polizisten aus mehreren Kantonen im Einsatz standen, die nicht unbedingt juristische Kenntnisse der Bündner Verhältnisse hatten. «Wir klären nun ab, wie der Fall abgelaufen ist», sagt Hobi. Falls es doch eigene Polizisten waren, hätte dies Konsequenzen - aber keine gravierenden: «Wenn sich herausstellt, dass ein einzelner Polizist keine ausreichenden juristischen Kenntnisse hat, dann bringen wir ihn auf den aktuellen Stand.» Bei Clark entschuldigt hat sich die Kantonspolizei nicht, sagt Hobi. Es sei ja kein Unrecht geschehen. Clark klärt mit seinen Vorgesetzten das weitere Vorgehen ab.

 

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