15 Wegweisungen pro Tag in der Stadt Zürich

21. März 2013

Schon seit etwas mehr als drei Jahren wendet die Zürcher Stadtpolizei den Wegweisungsartikel an, um Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Raum zu gewährleisten. Die Gretchenfrage bleibt jedoch: Was ist verhältnismässig?

Marc Tribelhorn. NZZ

Werden heutzutage in der Schweiz Polizeigesetze revidiert, gehört er meistens zur Standardausführung: der Wegweisungsartikel, diese für Polizisten bestechend praktikable Möglichkeit, unliebsame Individuen von einem Ort wegzuschicken oder für eine gewisse Zeit fernzuhalten. Im Kanton Zürich hatte der Wegweisungsartikel anlässlich der Abstimmung über das neue Polizeigesetz, das 2009 in Kraft trat, für heftige Kontroversen gesorgt. Als Schreckgespenst diente damals wie heute eine flächendeckende und unverhältnismässige Anwendung dieses neuen Repressionsmittels, das die Freiheit des Einzelnen massiv einschränkt. Die Stadt Zürich hat nun nach rund drei Jahren Bilanz gezogen - nicht ganz freiwillig.

Nach einem rasanten Anstieg der Fallzahlen und einigen kritischen Medienberichten befand der zuständige Stadtrat, Daniel Leupi, es sei an der Zeit, den Einsatz von Wegweisungen genau unter die Lupe zu nehmen. Zunächst einmal die nackten Zahlen: 2010 wurden 1703 Wegweisungen ausgesprochen, 2011 bereits 5770 und im vergangenen Jahr 5232 - das sind noch immer beachtliche 15 Wegweisungen pro Tag. Davon erfolgten die meisten wegen Betäubungsmitteldelikten und potenzieller Szenenbildungen. Weitere häufige Gründe waren illegale Prostitution, Belästigungen von Benützern öffentlicher Parkanlagen durch alkoholisierte Personen, Behinderung von Einsatzkräften sowie Bettelei. Der starke Anstieg von 2010 auf 2011 erklärt Jürg Zingg von der Zürcher Stadtpolizei damit, dass der Anwendungsbereich des Wegweisungsartikels nach einer Pilotphase sukzessive ausgeweitet worden ist.

Dreistufiges System

Die Stadtpolizei unterscheidet drei Arten von Wegweisungen. Die mit 80 Prozent am häufigsten ausgesprochene Wegweisung 1 erfolgt mündlich und bezieht sich etwa auf einen Strassenzug oder eine Tramhaltestelle; die Dauer variiert zwischen mindestens 4 und maximal 24 Stunden. Die 24-stündige Wegweisung 2 wird schriftlich auf einem Polizeiposten verfügt, wenn sich jemand nicht an eine vorher ausgesprochene mündliche Anordnung hält. Die Wegweisung 3, die bis zu 14 Tage gilt, erfolgt wegen der Missachtung von Wegweisung 1 und 2 oder direkt im Zusammenhang mit Betäubungsmitteldelikten.

Laut Zingg erwies sich die Wegweisung in den vergangenen drei Jahren als geeignetes Mittel, um die Situation in konfliktträchtigen Gebieten wie der Bäckeranlage oder an der Ecke Militär-/Langstrasse zu beruhigen. Dass die Verhältnismässigkeit grundsätzlich gewahrt wird, sei an der vergleichsweise tiefen Zahl von Beschwerden wegen einer mündlichen Wegweisung beziehungsweise dem sehr seltenen Ergreifen von Rechtsmitteln wegen einer schriftlichen Verfügung ersichtlich.

Fakt ist aber, dass etwa weggewiesene Randständige häufig nicht in der Lage sind zu rekurrieren. Es werde daher auch intern kontrolliert, ob die Polizisten an der Front korrekt handelten, versichert Zingg. Kritikpunkte von Betroffenen würden ernst genommen und flössen in die Optimierung der Abläufe ein. So sei in der Wegweisung 1 der zeitliche und räumliche Rahmen flexibilisiert worden, damit der Einzelfall stärker berücksichtigt werden könne.

Vertiefte Evaluation

Polizeivorstand Daniel Leupi hat aufgrund der vorliegenden Fakten eine seit Januar laufende einjährige Evaluation angeordnet. Sie soll zeigen, ob in der Handhabung der Wegweisung steuernd einzugreifen ist und ob das Repressionsmittel tatsächlich zu mehr Sicherheit im öffentlichen Raum beiträgt, wie die ersten Erfahrungen vermuten lassen.

 

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