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Jahresrückblick 2021

September 2022

Polizeiliche Massnahmen gegen Terrorismus treten in Kraft

Am 13. Juni 2021 gab es beachtenswerte 43,4 Prozent Nein-Stimmen gegen das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Be-kämpfung von Terrorismus (PMT), bei einer recht hohen Stimm-beteiligung von 60%. Einzig der Kanton Basel-Stadt lehnte das Gesetz ab. Ein Achtungserfolg der breiten Koalition gegen eine weitere Gesetzesverschärfung, die sich längst nicht nur gegen Terrorismus richten wird. Vielmehr erhalten die Behörden damit die Möglichkeit, ausserhalb des Strafrechts präventiv gegen so genannte Gefährder und Gefährderinnen vorzugehen. 

Damit konnte das PMT-Gesetz am 1. Juni 2022 in Kraft treten. Gegen mutmassliche Gefährder:innen können – ohne dass eine Straftat nachgewiesen werden kann – unter anderem eine Meldepflicht, ein Kontakt- oder Ausreiseverbot oder die Eingrenzung auf eine Liegenschaft («Hausarrest») verfügt werden. Fedpol kann diese Massnahmen von Fall zu Fall auf Antrag der Kantone, allenfalls der Gemeinden, oder des Nachrichtendiensts des Bundes (NDB) anordnen. Für die Anordnung eines Hausarrests ist eine gerichtliche Genehmigung notwendig. Massnahmen wie Hausarrest sollen bereits gegen Jugendliche ab 15 Jahren, Kontakt- und Rayonverbote, Meldepflicht und elektronische Überwachung sogar gegen Kinder ab 12 Jahren verfügt werden können.

Die breite NGO-Koalition, die das Gesetz mit dem Referendum bekämpft hat wird sich künftig um Einzelfälle kümmern und diese soweit möglich rechtlich bekämpfen.

COVID-19: Kundgebungsrecht verteidigt

Im Vergleich zu den Nachbarländern kam die Schweiz recht gut und vor allem ohne drastische Massnahmen wie Hausarrest etc. durch die COVID-19 Pandemie. Die Massnahmen des Bundesrats und der Eidgenössischen Räte waren verhältnismässig. Dennoch haben einzelne Kantone bei der Umsetzung der Massnahmen über das Ziel hinausgeschossen.

Der Regierungsrat des Kantons Bern hatte mit seiner Verordnung über Covid-Massnahmen im November 2020 faktisch ein Kund-gebungsverbot beschlossen (Gruppenbeschränkung auf maximal 15 Personen). Dagegen reichten die Demokratischen Jurist:innen Bern mit Unterstützung von grundrechte.ch, politischen Parteien und Gewerkschaften erfolgreich Beschwerde beim Bundesgericht ein. Dieses stellte im Urteil Bger 2C_308/2021 fest, dass die Berner Bestimmung bundesrechtswidrig sei.

Auch Public Eye vom NDB überwacht

Zahlreiche Organisationen und Personen haben 2021 Einsicht beim Nachrichtendienst des Bundes NDB verlangt und teils umfangreiche zensurierte oder unvollständige Unterlagen erhalten. Fichiert wurden unter vielen anderen die Grüne Partei Schweiz, humanrights.ch, die Jugend-Dachorganisation SAJV und Public Eye (vormals Erklärung von Bern). Nachfolgend ein kurzer Auszug aus der Veröffentlichung von Public Eye:

Public Eye hatte bis Anfang 2021 eine umfassende Fiche mit 431 Einträgen. Wie ein Rechtsgutachten aufzeigt, hat der Geheimdienst dabei systematisch die gesetzlichen Grundlagen missachtet und sowohl das geltende Nachrichtendienstgesetz wie auch die Grundrechte von Public Eye verletzt. Die aktuelle Akte von Public Eye zeigt Einträge über einen Zeitraum von gut 20 Jahren. Ausschlaggebend dafür war offensichtlich die Klassifizierung als Teil der «globalisierungkritischen Bewegung». Die Fiche von Public Eye enthält mehrere Einträge mit Bezug zu «Linksextremismus»…

Ebenso wird Public Eye unterstellt, sich nicht so deutlich wie andere Organisationen von allfälligen Gewaltakten zu distanzieren und an zwei Stellen wird gemutmasst, dass die Public Eye Awards gewaltbereite Kreise zu Aktionen gegen nominierte Firmen «inspirieren» könnten, etwa zu Farbanschlägen auf Gebäude. Im Jahr 2013 wurde in der Akte vermerkt, dass bezüglich Public Eye Awards 2014 «Teilnehmer, Thematik, Erfahrungen der vergangenen Jahre und Ereignisse an anderen vergleichbaren Veranstaltungen einen angemessenen polizeilichen Schutz im Blickfeld weltweiten Interesses bedingen» würden

Der NDB stellt sich auf den Standpunkt, Public Eye werde von ihm weder überwacht noch «fichiert», sei nicht als Objekt (umgangssprachlich «Fiche») erfasst und als Organisation für den NDB nicht von Interesse. Dem widerspricht die Menge der erfassten Daten (über 400), welche politische Betätigung und die Ausübung der Meinungs-, Versammlungs-oder Vereinigungsfreiheit betreffen; aber auch die Qualität der Erfassung (viele Einträge wurden vom NDB selbst erstellt) und die Tatsache, dass alle mit der Freitextsuche auffindbaren Daten als «personenbezogen erschlossen» gelten und dafür somit nicht – wie in Zeiten der Papierkarteikarten – eine separate Fiche angelegt werden muss…
Den ausführlichen Bericht sowie ein von Public Eye in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten findet man unter:

https://www.publiceye.ch/de/fichenskandal-30-public-eye-unter-geheimdienstlichem-extremismusverdacht

Im Hinblick auf die vom Bundesrat im Mai 2022 präsentierte Verschärfung des Nachrichtendienstgesetzes sind das NDB-Dossier von Public Eye wie auch die NDB Unterlagen von zahlreichen anderen Organisationen und Personen eine wichtige Grundlage, um gegen die geplanten Verschärfungen anzutreten. Aktuelle Informationen zur NDG-Revision 2022 sind auf www.grundrechte.ch abrufbar.

 

Elektronische Identitätskarte (e-ID) wird nicht privatisiert

Am 7. März 2021 hat die Stimmbevölkerung dem E-ID-Gesetz und der Privatisierung des digitalen Passes mit 64.4% eine deutliche Abfuhr erteilt. Die Herausgabe von Identitätsausweisen muss damit in staatlicher Verantwortung bleiben und gehört unter demokratische Kontrolle. Die Herausgabe und der Betrieb müssen dem Grundprinzip der Datensparsamkeit Rechnung tragen. Am 17. Dezember 2021 hat der Bundesrat einen Richtungsentscheid zur E-ID getroffen und die Grundsätze für die Ausgestaltung eines künftigen staatlichen Identitätsnachweises festgelegt:

Nutzerinnen und Nutzer der E‑ID sollen grösstmögliche Kontrolle über ihre Daten haben (Self-Sovereign Identity). Der Datenschutz soll unter anderem durch das System selber (Privacy by Design), aber auch durch die Minimierung der nötigen Datenflüsse (Prinzip der Daten-sparsamkeit) sowie einer dezentralen Datenspeicherung gewährleistet werden. Die E-ID soll auf einer staatlich betriebenen Infrastruktur beruhen. Sie könnte staatlichen und privaten Stellen für die Ausstellung unterschiedlicher digitaler Nachweise zur Verfügung stehen (E-ID-Ökosystem). Der Ausbau kann schrittweise erfolgen.“

Im Juni 2022 wurde die Vernehmlassung zum neuen E-ID Gesetz eröffnet, die parlamentarische Beratung beginnt voraussichtlich Ende 2023.

Frontex: künftig 61 Mio. Franken pro Jahr

grundrechte.ch hat das Referendum gegen den massiven finanziellen Ausbau der europäischen Grenzpolizei aktiv unterstützt. Insbesondere die vielen grosszügigen Spenden für die Frontex-Kampagne haben uns in unserer Haltung bestärkt. Umso ernüchternder fiel das Resultat am 15. Mai 2022 aus: Gerade mal 28.5% Nein-Stimmen waren zu verzeichnen, bei einer Stimmbeteiligung von knapp 43%. Immerhin gelang den Aktivist:innen eine breite Sensibilisierung zum Thema, was sich in den zahlreichen, teils sehr kritischen Medienberichten zeigte.

 

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