Urteil Bundesgericht zu Durchsuchung eines Mobiltelefons

14. Februar 2013

Bun­des­ge­richt

Tri­bu­nal fédéral

Tri­bu­na­le fe­dera­le

Tri­bu­nal fe­deral

{T 0/2}

6B_307/2012

Ur­teil vom 14. Fe­bru­ar 2013

Straf­recht­li­che Ab­tei­lung

Be­set­zung

Bun­des­rich­ter Ma­thys, Prä­si­dent,

Bun­des­rich­ter Schnei­der,

Bun­des­rich­te­rin Jac­que­moud-Ros­sa­ri,

Bun­des­rich­ter De­nys, Schö­bi,

Ge­richts­schrei­be­rin Ar­quint Hill.

Ver­fah­rens­be­tei­lig­te

X.________,

ver­tre­ten durch Rechts­an­walt Gre­gor Münch,

Be­schwer­de­füh­re­rin,

ge­gen

Ober­staats­an­walt­schaft des Kan­tons Zü­rich, Flor­hof­gas­se 2, 8001 Zü­rich,

Be­schwer­de­geg­ne­rin.

Ge­gen­stand

Mehr­fa­che Wi­der­hand­lung ge­gen das Aus­län­der­ge­setz, Ge­nug­tu­ung,

Be­schwer­de ge­gen das Ur­teil des Ober­ge­richts

des Kan­tons Zü­rich, I. Straf­kam­mer,

vom 9. März 2012.

Sach­ver­halt:

A.

Die stark al­ko­ho­li­sier­te X.________, ei­ne bra­si­lia­ni­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge, wur­de am 28. Ja­nu­ar 2011, um 07.15 Uhr, durch die Kan­tons­po­li­zei Zü­rich in der "A.________-Bar", ei­ner "Kon­takt­bar" im Kern­ge­biet des Stadt­zür­cher Mi­lieus, an­ge­hal­ten. Da sie sich nicht aus­wei­sen konn­te (und woll­te) und die Po­li­zei­be­am­ten in ih­rer Hand­ta­sche kei­ne Aus­weis­pa­pie­re fan­den, wur­de sie auf den Po­li­zei­pos­ten ge­führt. Im Zu­ge der auf dem Pos­ten durch­ge­führ­ten Durch­su­chung wur­den ein "Chip der Swiss­com" und ein "I-Pho­ne" ge­fun­den so­wie "of­fen­sicht­li­che Frei­er-Adres­sen", die dar­auf hin­wie­sen, X.________ sei oh­ne Be­wil­li­gung als Pro­sti­tu­ier­te er­werbs­tä­tig. Ge­stützt auf die­se Da­ten kon­tak­tier­ten die Po­li­zei­be­am­ten den spä­te­ren Zeu­gen B.________. Die­ser gab an, mit X.________ Se­xu­al­ver­kehr ge­gen Geld ge­habt zu ha­ben.

B.

Das Ober­ge­richt des Kan­tons Zü­rich sprach X.________ zweit­in­stanz­lich am 9. März 2012 des rechts­wid­ri­gen Auf­ent­halts und der Er­werbs­tä­tig­keit oh­ne Be­wil­li­gung ge­mäss Art. 115 Abs. 1 lit. b und c des Bun­des­ge­set­zes über die Aus­län­de­rin­nen und Aus­län­der (AuG; SR 142.20) schul­dig. In Be­zug auf den Frei­spruch vom Vor­wurf der Wi­der­hand­lung ge­gen Art. 115 Abs. 1 lit. a AuG (Ver­let­zung von Ein­rei­se­vor­schrif­ten) stell­te es die Rechts­kraft des Ur­teils des Be­zirks­ge­richts Zü­rich vom 7. März 2011 fest. Es be­straf­te X.________ mit 45 Ta­gen Frei­heits­stra­fe (wo­von al­le Ta­ge durch Un­ter­su­chungs- und Si­cher­heits­haft er­stan­den sind). Den Voll­zug der Frei­heits­stra­fe schob es nicht auf. Das Ober­ge­richt sprach X.________ kei­ne Ge­nug­tu­ung zu und auf­er­leg­te ihr die Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens. Die erst­in­stanz­li­che Kos­ten­re­ge­lung be­stä­tig­te es.

C.

Mit Be­schwer­de in Straf­sa­chen be­an­tragt X.________, sie sei vom Vor­wurf der mehr­fa­chen Wi­der­hand­lung ge­gen das Aus­län­der­ge­setz frei­zu­spre­chen, und die Kos­ten des kan­to­na­len Ver­fah­rens sei­en auf die Ge­richts­kas­se zu neh­men. Für die er­lit­te­ne Un­ter­su­chungs- und Si­cher­heits­haft sei ihr ei­ne Ge­nug­tu­ung von min­des­tens Fr. 4'500.-- zu­zu­spre­chen. Even­tu­ell sei das Ur­teil des Ober­ge­richts auf­zu­he­ben und die Sa­che zur neu­en Ent­schei­dung an die Vor­in­stanz zu­rück­zu­wei­sen. X.________ er­sucht um un­ent­gelt­li­che Rechts­pfle­ge und Ver­bei­stän­dung.

D.

Das Ober­ge­richt und die Ober­staats­an­walt­schaft des Kan­tons Zü­rich ha­ben auf ei­ne Stel­lung­nah­me zur Be­schwer­de ver­zich­tet.

Er­wä­gun­gen:

1.

1.1 Die Vor­in­stanz ist der Auf­fas­sung, dass die "of­fen­sicht­li­chen Frei­er-Adres­sen" im Rah­men der bei der An­hal­tung durch­ge­führ­ten po­li­zei­li­chen Ef­fek­ten­kon­trol­le "er­mit­telt" wur­den, wel­che oh­ne vor­gän­gi­ge Be­wil­li­gung der Staats­an­walt­schaft in Form ei­nes Durch­su­chungs­be­fehls vor­ge­nom­men wer­den durf­te, und zwar un­ab­hän­gig da­von, ob die frag­li­chen "Adress­da­ten" in Pa­pier­form oder auf­grund ei­ner Durch­su­chung des Te­le­fons ge­fun­den wur­den. Ei­ne nach­träg­li­che In­for­ma­ti­on der Staats­an­walt­schaft sei - so­weit ei­ne sol­che not­wen­dig sei - spä­tes­tens mit der Ak­ten­zu­stel­lung an die Staats­an­walt­schaft zur for­mel­len Ver­fah­rens­er­öff­nung er­folgt. Die ent­deck­ten Be­wei­se sei­en ver­wert­bar. Die Vor­in­stanz stützt ih­re An­sicht ins­be­son­de­re auf Art. 215 Abs. 2 lit. c und d StPO i.V.m. Art. 241 Abs. 3 StPO (Ent­scheid, S. 6-10, S. 9 f.).

Die Be­schwer­de­füh­re­rin rügt ei­ne un­rich­ti­ge An­wen­dung von Art. 215 StPO re­spek­ti­ve von Art. 241 Abs. 1 i.V.m. Art. 246 StPO bzw. Art. 250 StPO. Die Po­li­zei ha­be Auf­zeich­nun­gen durch­sucht, oh­ne dass die Ver­fah­rens­lei­tung die­se Zwangs­mass­nah­me vor­gän­gig münd­lich oder schrift­lich an­ge­ord­net oder nach­träg­lich be­wil­ligt hät­te. Da sie - die Be­schwer­de­füh­re­rin - in die po­li­zei­li­che Durch­su­chung auch nicht ein­ge­wil­ligt ha­be, ha­be die Straf­be­hör­de die "Frei­er­lis­te" in Ver­let­zung ei­ner Gül­tig­keits­vor­schrift ge­mäss Art. 141 Abs. 2 StPO er­langt. Die "of­fen­sicht­li­chen Frei­er-Adres­sen" und die in der Fol­ge er­ho­be­nen Zeu­gen­aus­sa­gen von B.________ sei­en nicht ver­wert­bar.

1.2 Die po­li­zei­li­che An­hal­tung im Sin­ne von Art. 215 StPO dient der Er­mitt­lung ei­ner all­fäl­li­gen Ver­bin­dung zwi­schen der an­ge­hal­te­nen Per­son und ei­ner Straf­tat. Ge­mäss Art. 215 Abs. 1 StPO kann die Po­li­zei ei­ne Per­son an­hal­ten, um ih­re Iden­ti­tät fest­zu­stel­len (lit. a), sie kurz zu be­fra­gen (lit. b), ab­zu­klä­ren, ob sie ei­ne Straf­tat be­gan­gen hat (lit. c) oder ob sich in ih­rem Ge­wahr­sam Ge­gen­stän­de be­fin­den, nach de­nen ge­fahn­det wird (lit. d). Die an­ge­hal­te­ne Per­son ist nach Art. 215 Abs. 2 StPO ver­pflich­tet, ih­re Per­so­na­li­en an­zu­ge­ben (lit. a), Aus­weis­pa­pie­re vor­zu­le­gen (lit. b), mit­ge­führ­te Sa­chen vor­zu­zei­gen (lit. c) und Be­hält­nis­se oder Fahr­zeu­ge zu öff­nen (lit. d). Ziel der An­hal­tung ist, die Iden­ti­tät zu über­prü­fen und fest­zu­stel­len, ob nach den Um­stän­den der kon­kre­ten Si­tua­ti­on ein Zu­sam­men­hang der be­tref­fen­den Per­son mit De­lik­ten als mög­lich er­scheint (Ni­k­laus Schmid, Hand­buch des schwei­ze­ri­schen Straf­pro­zess­rechts, Zü­rich/St. Gal­len 2009, S. 432 Rz. 1002; Ders., Schwei­ze­ri­sche Straf­pro­zess­ord­nung, Pra­xis­kom­men­tar, Zü­rich/St. Gal­len 2009, Art. 215 Rz. 6). Ein kon­kre­ter Tat­ver­dacht wird nicht vor­aus­ge­setzt (NI­K­LAUS OBER­HOL­ZER, Grund­zü­ge des Straf­pro­zess­rechts, 3. Aufl., 2012, S. 323 N. 884). Kön­nen die Ab­klä­run­gen nach Art. 215 StPO nicht vor Ort er­fol­gen, ist die Po­li­zei ge­mäss Abs. 1 der Be­stim­mung be­fugt, die an­ge­hal­te­ne Per­son auf den Po­li­zei­pos­ten zu füh­ren.

Zur An­hal­tung be­nö­tigt die Po­li­zei kei­ne vor­gän­gi­ge An­ord­nung oder Be­wil­li­gung der Staats­an­walt­schaft im Sin­ne von Art. 198 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 241 StPO (vgl. JO­NAS WE­BER, in: Schwei­ze­ri­sche Straf­pro­zess­ord­nung, Bas­ler Kom­men­tar, Ba­sel 2011, Art. 198 N. 9). Kommt die an­ge­hal­te­ne Per­son ih­rer Pflicht nach Art. 215 Abs. 2 lit. c und d StPO zur Vor­la­ge von Aus­weis­pa­pie­ren und Ge­gen­stän­den so­wie zum Öff­nen von Be­hält­nis­sen und Fahr­zeu­gen nicht nach, darf die Po­li­zei Klei­der, mit­ge­führ­te Ge­gen­stän­de, Be­hält­nis­se oder Fahr­zeu­ge oh­ne staats­an­walt­schaft­li­chen Durch­su­chungs­be­fehl un­ter den Vor­aus­set­zun­gen von Art. 241 Abs. 3 StPO i.V.m. Art. 250 StPO durch­su­chen (sie­he Bot­schaft zur Ver­ein­heit­li­chung des Straf­pro­zess­rechts, BBl 2006 1085 ff., S. 1225; Gi­an­fran­co Al­ber­ti­ni/Tho­mas Am­brus­ter, in: Schwei­ze­ri­sche Straf­pro­zess­ord­nung, Bas­ler Kom­men­tar, Ba­sel 2011, Art. 215 N. 16; vgl. OBER­HOL­ZER, a.a.O., S. 323 N. 885). Die­se Durch­su­chun­gen sind auf die Si­che­rung der Zie­le der An­hal­tung nach Art. 215 Abs. 1 StPO be­schränkt (Schmid, Pra­xis­kom­men­tar, a.a.O., Art. 215 Rz. 17). Eben­falls in ei­ge­ner Kom­pe­tenz darf die Po­li­zei die an­ge­hal­te­ne Per­son aus Si­cher­heits­grün­den - zum Zwe­cke der Ge­fah­ren­ab­wehr - ge­stützt auf Art. 241 Abs. 4 StPO durch­su­chen.

1.3 Die Po­li­zei führ­te die Be­schwer­de­füh­re­rin nach er­folg­los ge­blie­be­ner Aus­weis­kon­trol­le vor Ort auf den Po­li­zei­pos­ten, weil An­halts­punk­te für Wi­der­hand­lun­gen ge­gen das Aus­län­der­ge­setz be­stan­den (An­tref­fen der stark al­ko­ho­li­sier­ten Be­schwer­de­füh­re­rin in ei­ner ein­schlä­gi­gen "Kon­takt-Bar" im Stadt­zür­cher Rot­licht­mi­lieu; Wei­ge­rung, sich aus­zu­wei­sen; kei­ne Aus­weis­pa­pie­re). Die auf dem Po­li­zei­pos­ten durch­ge­führ­te Kon­trol­le der Be­schwer­de­füh­re­rin för­der­te u.a. "of­fen­sicht­li­che Frei­er-Adres­sen" zu Ta­ge. Wie die Po­li­zei­be­am­ten auf die­se Da­ten sties­sen, geht aus den Ak­ten nicht klar her­vor. Aus­zu­ge­hen ist da­von, dass die Be­am­ten das mit­ge­führ­te I-Pho­ne der Be­schwer­de­füh­re­rin bzw. - ge­nau­er - die dar­in ge­spei­cher­ten Adres­sen durch­such­ten. Dar­auf deu­ten ver­schie­de­ne Hin­wei­se im Po­li­zei­rap­port vom 28. Ja­nu­ar 2011 hin (vgl. kan­to­na­le Ak­ten, act. 1, S. 3 und 4). Ei­ne sol­che Durch­su­chung von Un­ter­la­gen - sei­en sie auf ei­nem Da­ten­trä­ger ge­spei­chert oder phy­sisch im Sin­ne ei­nes Schrift­stücks ("Adress­büch­lein") vor­han­den - geht über den Zweck der An­hal­tung hin­aus. Die Be­fug­nis der Po­li­zei, mit­ge­führ­te Sa­chen so­wie Be­hält­nis­se und Fahr­zeu­ge oh­ne Be­fehl zu kon­trol­lie­ren, geht nach Art. 215 Abs. 2 lit. c und d StPO nicht wei­ter als die Ver­pflich­tung der an­ge­hal­te­nen Per­son, die­se Sa­chen vor­zu­zei­gen so­wie Be­hält­nis­se und Fahr­zeu­ge zu öff­nen. Für ei­ne wei­ter­ge­hen­de Durch­su­chung der Ef­fek­ten bie­tet die An­hal­tung kei­ne Rechts­grund­la­ge. Der Sa­che nach han­delt es sich bei der zu be­ur­tei­len­den Durch­su­chung des I-Pho­nes ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Vor­in­stanz nicht (mehr) um ei­ne zu­läs­si­ge Ef­fek­ten­kon­trol­le im Sin­ne von Art. 215 Abs. 2 lit. c und d StPO i.V.m. Art. 250 StPO (und eben­so we­nig um ei­ne Si­cher­heits­durch­su­chung der an­ge­hal­te­nen Per­son zur Ge­fah­ren­ab­wehr ge­mäss Art. 215 i.V.m Art. 241 Abs. 4 StPO), son­dern um ei­ne Durch­su­chung von Auf­zeich­nun­gen im Sin­ne von Art. 246 StPO.

1.4 Von ei­ner Durch­su­chung von Auf­zeich­nun­gen ge­mäss Art. 246 StPO wird ge­spro­chen, wenn die Schrift­stü­cke oder Da­ten­trä­ger im Hin­blick auf ih­ren In­halt oder ih­re Be­schaf­fen­heit durch­ge­le­sen bzw. be­sich­tigt wer­den, um ih­re Be­weis­eig­nung fest­zu­stel­len, sie al­len­falls zu be­schlag­nah­men und zu den Ak­ten zu neh­men (vgl. zu Art. 50 VStrR BGE 109 IV 154 E. 1). Sol­che Durch­su­chun­gen von Un­ter­la­gen und Da­ten­trä­gern sind nach Art. 198 StPO i.V.m. Art. 241 Abs. 1 StPO grund­sätz­lich von der Staats­an­walt­schaft (al­len­falls vom Sach­ge­richt) an­zu­ord­nen bzw. vor­zu­neh­men (vgl. Bot­schaft, a.a.O., BBl 2006 S. 1238). Es ist der Staats­an­walt­schaft aber un­be­nom­men, die Po­li­zei im Rah­men von Art. 312 StPO da­mit zu be­auf­tra­gen, die auf die Amts­stel­le ver­brach­ten bzw. ent­sie­gel­ten Auf­zeich­nun­gen nach be­stimm­ten Kri­te­ri­en zu durch­su­chen bzw. aus­zu­wer­ten (An­dre­as J. Kel­ler, in Kom­men­tar zur Schwei­ze­ri­schen Straf­pro­zess­ord­nung (StPO), Zü­rich 2010, Art. 246 Rz. 4). So­fern im Sin­ne von Art. 241 Abs. 3 StPO "Ge­fahr in Ver­zug" vor­liegt, kann die Po­li­zei Un­ter­la­gen und Auf­zeich­nun­gen auch oh­ne be­son­de­ren Be­fehl der Staats­an­walt­schaft durch­su­chen. Das po­li­zei­li­che Han­deln muss sich dann al­ler­dings - wie bei ei­ner all­fäl­li­gen De­le­ga­ti­on von der Staats­an­walt­schaft an die Po­li­zei nach Art. 312 StPO - an­ge­sichts der be­son­de­ren Re­le­vanz des Ein­griffs in die Pri­vat­sphä­re der be­trof­fe­nen Per­son (oder Drit­ter) auf ein­fa­che Sach­ver­hal­te be­schrän­ken (Schmid, Hand­buch, a.a.O., S. 474 Rz. 1074; Ders., Pra­xis­kom­men­tar, a.a.O., Art. 246 Rz. 3; Die­go R. Gfel­ler, Schwei­ze­ri­sche Straf­pro­zess­ord­nung, Bas­ler Kom­men­tar, 2011, Art. 241 Rz. 32 ff.; vgl. Ca­the­ri­ne Chi­raz­zi in: Com­men­taire ro­mand, Code de procédu­re péna­le, 2010, Art. 241 Rz. 28 und 33).

1.5 In­wie­fern vor­lie­gend "Ge­fahr in Ver­zug" war, wel­che die Po­li­zei zu selb­stän­di­gem Han­deln im Sin­ne von Art. 241 Abs. 3 StPO er­mäch­tig­te, ist nicht er­kenn­bar. Der Um­stand, dass die An­hal­tung nach Art. 215 StPO und die da­mit ein­her­ge­hen­de Be­schrän­kung der Be­we­gungs­frei­heit der an­ge­hal­te­nen Per­son nur kur­ze Zeit dau­ern darf (vgl. Bot­schaft, BBl 2006 S. 1224; Schmid, Hand­buch, a.a.O., S. 433 Rz. 1003), ver­mag je­den­falls kei­ne Dring­lich­keit im Sin­ne von Art. 241 Abs. 3 StPO zu be­grün­den (so aber an­ge­foch­te­ner Ent­scheid, S. 9). An­dern­falls wä­re die Po­li­zei bei ei­ner An­hal­tung un­ter Hin­weis auf die en­ge zeit­li­chen Gren­zen stets und oh­ne wei­te­res be­fugt, Durch­su­chun­gen nach Art. 246 StPO selb­stän­dig an­zu­ord­nen und durch­zu­füh­ren. Das ent­spricht nicht dem Sinn des Ge­set­zes. Art. 241 Abs. 3 StPO kommt (nur) zum Tra­gen, wenn oh­ne so­for­ti­ge Durch­su­chung ein Be­weis­ver­lust zu be­fürch­ten ist (Gfel­ler, a.a.O., Art. 241 Rz. 33; Schmid, Hand­buch, a.a.O., S. 468 f. Rz. 1064). Das ist hier nicht der Fall. Die "of­fen­sicht­li­chen Frei­er-Adres­sen" wa­ren auf dem I-Pho­ne ge­spei­chert und konn­ten oh­ne Ma­ni­pu­la­ti­on des Ge­räts nicht ver­lo­ren ge­hen. Zwar durf­ten die Po­li­zei­be­am­ten das I-Pho­ne - oh­ne ent­spre­chen­de Be­schlag­nah­me - nur so lan­ge (zu­rück-)be­hal­ten, als es der Be­schwer­de­füh­re­rin sel­ber un­ter­sagt war, sich vom Ort der Mass­nah­me zu ent­fer­nen. Das be­grün­det aber für sich al­lein kei­ne dring­li­che Si­tua­ti­on im Sin­ne von Art. 241 Abs. 3 StPO, zu­mal nicht er­stellt und an­ge­sichts des Zeit­punkts der Kon­trol­le auch nicht wahr­schein­lich ist, dass die Staats­an­walt­schaft für ei­ne (min­des­tens münd­li­che) An­ord­nung der Durch­su­chung des I-Pho­nes nicht er­reich­bar war (Kel­ler, a.a.O., Art. 241 Rz. 23 und Art. 246 Rz. 4, wel­cher Dring­lich­keit bei Durch­su­chun­gen von Auf­zeich­nun­gen prak­tisch für aus­ge­schlos­sen hält). Das selb­stän­di­ge Han­deln der Po­li­zei oh­ne staats­an­walt­schaft­li­chen Be­fehl war re­gel­wid­rig. Es stellt sich die Fra­ge nach den pro­zes­sua­len Fol­gen die­ses Ver­stos­ses.

1.6 Die Ver­wert­bar­keit rechts­wid­rig er­lang­ter Be­wei­se ist in Art. 141 StPO ge­re­gelt. Für Be­wei­se, die durch ver­bo­te­ne Be­weis­er­he­bungs­me­tho­den er­langt wer­den, sieht Art. 141 Abs. 1 Satz 1 StPO ein ab­so­lu­tes Be­weis­ver­wer­tungs­ver­bot vor. Das­sel­be gilt, wenn das Ge­setz ei­nen Be­weis als un­ver­wert­bar be­zeich­net (Art. 141 Abs. 1 Satz 2 StPO). Be­wei­se, die Straf­be­hör­den in straf­ba­rer Wei­se oder un­ter Ver­let­zung von Gül­tig­keits­vor­schrif­ten er­ho­ben ha­ben, dür­fen nach Art. 141 Abs. 2 StPO grund­sätz­lich nicht ver­wer­tet wer­den, es sei denn, ih­re Ver­wer­tung sei zur Auf­klä­rung schwe­rer Straf­ta­ten un­er­läss­lich. Be­wei­se, bei de­ren Er­he­bung le­dig­lich Ord­nungs­vor­schrif­ten ver­letzt wur­den, sind da­ge­gen ge­mäss Art. 141 Abs. 3 StPO ver­wert­bar. Ob im Ein­zel­fall ei­ne Gül­tig­keits- oder ei­ne Ord­nungs­vor­schrift vor­liegt, be­stimmt sich (so­fern das Ge­setz die Norm nicht sel­ber als Gül­tig­keits­vor­schrift be­zeich­net) pri­mär nach dem Schutz­zweck der Norm: Hat die Ver­fah­rens­vor­schrift für die Wah­rung der zu schüt­zen­den In­ter­es­sen der be­tref­fen­den Per­son ei­ne der­art er­heb­li­che Be­deu­tung, dass sie ihr Ziel nur er­rei­chen kann, wenn bei Nicht­be­ach­tung die Ver­fah­rens­hand­lung un­gül­tig ist, liegt ei­ne Gül­tig­keits­vor­schrift vor (zum Gan­zen vgl. Bot­schaft, a.a.O., BBl 2006 S. 1183 f.).

1.7 Dass die Po­li­zei­be­am­ten das I-Pho­ne der Be­schwer­de­füh­re­rin bzw. die dar­in ge­spei­cher­ten Adres­sen oh­ne die grund­sätz­lich er­for­der­li­che Be­wil­li­gung der Staats­an­walt­schaft durch­such­ten, führt nicht zu ei­nem Ver­bot der Ver­wer­tung der er­wähn­ten Frei­er-Adres­sen. Die Vor­aus­set­zun­gen für die Durch­su­chung des (of­fen­kun­dig nicht mit­tels ei­nes Codes ver­schlos­se­nen) I-Pho­nes wa­ren an sich er­füllt. Die Durch­su­chung als sol­che war auch nicht un­ver­hält­nis­mäs­sig. Die Po­li­zei­be­am­ten be­schränk­ten sich of­fen­bar dar­auf, (nur) Ein­sicht in die im Ge­rät ab­ge­leg­ten Adres­sen zu neh­men (vgl. hier­zu Hin­weis im Po­li­zei­rap­port vom 28. Ja­nu­ar 2011, act. 1, S. 3 und 4, wo­nach "über die Agen­da" even­tu­ell noch wei­te­re Frei­er er­mit­telt wer­den könn­ten). An­halts­punk­te da­für, dass sich die Be­am­ten vor­sätz­lich und rechts­miss­bräuch­lich über die ge­setz­li­che Zu­stän­dig­keits­ord­nung im Sin­ne von Art. 198 StPO hin­weg­setz­ten bzw. den staats­an­walt­schaft­li­chen Durch­su­chungs­be­fehl be­wusst nicht ein­hol­ten, be­ste­hen nicht. Das gilt um­so mehr, als selb­stän­di­ges po­li­zei­li­ches Han­deln im Rah­men von Art. 246 StPO nicht ka­te­go­risch aus­ge­schlos­sen, son­dern bei Dring­lich­keit (Art. 241 Abs. 3 StPO) mög­lich ist. Die Zu­stän­dig­kei­ten sind hier in ei­ner ge­wis­sen Hin­sicht "flies­send". Vor die­sem Hin­ter­grund und un­ter Be­rück­sich­ti­gung der kon­kre­ten Um­stän­de stellt das Er­for­der­nis des staats­an­walt­schaft­li­chen Durch­su­chungs­be­fehls im vor­lie­gen­den Fall ei­ne blos­se Ord­nungs­vor­schrift im Sin­ne von Art. 141 Abs. 3 StPO dar (vgl. in­so­weit auch Gfel­ler, a.a.O., Art. 246 Rz. 10 mit Hin­wei­sen). Dem­nach sind die er­mit­tel­ten "of­fen­sicht­li­chen Frei­er-Adres­sen" und die ge­stützt dar­auf er­lang­ten Aus­sa­gen des Zeu­gen B.________ ver­wert­bar.

2.

Die Be­schwer­de­füh­re­rin rügt ei­nen Ver­stoss ge­gen Art. 243 StPO. Die an­geb­li­che Er­mitt­lung von "of­fen­sicht­li­chen Frei­er-Adres­sen" ha­be nicht im Zu­sam­men­hang mit der ur­sprüng­lich ab­zu­klä­ren­den Straf­tat (rechts­wid­ri­ge Ein­rei­se, al­len­falls rechts­wid­ri­ger Auf­ent­halt) ge­stan­den, son­dern auf ei­ne "an­de­re Straf­tat" im Sin­ne von Art. 243 StPO (Er­werbs­tä­tig­keit oh­ne Be­wil­li­gung) hin­ge­wie­sen. Die vor­in­stanz­li­che Schluss­fol­ge­rung, auf­grund des Kon­troll­orts und der star­ken Al­ko­ho­li­sie­rung der Be­schwer­de­füh­re­rin ha­be der Ver­dacht der Schwarz­ar­beit nicht von Be­ginn weg aus­ge­schlos­sen wer­den kön­nen, sei will­kür­lich. Die "Frei­er­lis­te" hät­te als Zu­falls­fund be­han­delt wer­den müs­sen. Sie sei - eben­so wie die in der Fol­ge durch­ge­führ­te Be­fra­gung des Zeu­gen B.________ - nach Art. 141 StPO nicht ver­wert­bar (Be­schwer­de, S. 5-9).

2.1 Un­ter Zu­falls­fun­den nach Art. 243 StPO ver­steht man die bei der Durch­füh­rung von Zwangs­mass­nah­men all­ge­mein und bei Durch­su­chun­gen und Un­ter­su­chun­gen im Be­son­de­ren zu­fäl­lig ent­deck­ten Be­weis­mit­tel, Spu­ren, Ge­gen­stän­de oder Ver­mö­gens­wer­te, die mit der ab­zu­klä­ren­den Straf­tat in kei­nem di­rek­ten Zu­sam­men­hang ste­hen und den ur­sprüng­li­chen Ver­dacht we­der er­här­ten noch wi­der­le­gen, aber auf ei­ne wei­te­re Straf­tat hin­wei­sen (Die­go R. Gfel­ler/Oli­vier Thor­mann, Bas­ler Kom­men­tar (BSK), Schwei­ze­ri­sche Straf­pro­zess­ord­nung, 2011, Art. 243 Rz. 6; Schmid, Pra­xis­kom­men­tar, a.a.O., Art. 243 Rz. 1; Ders., Hand­buch, a.a.O., S. 470 Rz. 1066; An­dre­as J. Kel­ler, in Kom­men­tar zur Schwei­ze­ri­schen Straf­pro­zess­ord­nung (StPO), Zü­rich 2010, Art. 243 Rz. 1). Kein Zu­falls­fund liegt da­ge­gen vor, wenn ei­ne Spur bzw. ein Ge­gen­stand in ei­nem di­rek­ten Zu­sam­men­hang mit der ab­zu­klä­ren­den Straf­tat steht. Ab­zu­gren­zen sind Zu­falls­fun­de von un­zu­läs­si­gen Be­weis­aus­for­schun­gen, so­ge­nann­ten "Fis­hing-Ex­pe­di­ti­ons". Ei­ne sol­che be­steht, wenn ei­ner Zwangs­mass­nah­me kein ge­nü­gen­der Tat­ver­dacht zu­grun­de liegt, son­dern aufs Ge­ra­te­wohl Be­weis­auf­nah­men ge­tä­tigt wer­den. Aus Be­weis­aus­for­schun­gen re­sul­tie­ren­de Er­geb­nis­se sind nicht ver­wert­bar (sie­he BGE 137 I 218 E. 2.3.2 mit zahl­rei­chen Hin­wei­sen auf Recht­spre­chung und Leh­re).

2.2 Ge­mäss Po­li­zei­rap­port vom 28. Ja­nu­ar 2011 wur­de ge­gen die Be­schwer­de­füh­re­rin we­gen Ver­let­zung von Art. 115 Abs. 1 lit. a und c AuG er­mit­telt (Ent­scheid, S. 10; kan­to­na­le Ak­ten, act. 1 S. 1). Es be­stand der Ver­dacht der il­le­ga­len Ein­rei­se in die Schweiz zur Aus­übung der Pro­sti­tu­ti­on oh­ne Be­wil­li­gung. Die Po­li­zei führ­te die Be­schwer­de­füh­re­rin ge­mäss Rap­port zwar pri­mär des­halb auf den Po­li­zei­pos­ten, weil sich die­se nicht aus­wei­sen konn­te und An­halts­punk­te da­für be­stan­den, sie sei oh­ne gül­ti­ge Aus­weis­pa­pie­re in der Schweiz an­we­send (Ent­scheid, S. 11). Da­mit stand für die Po­li­zei nach An­sicht der Vor­in­stanz an­fäng­lich zwar ein all­fäl­li­ger Ver­stoss ge­gen Ein­rei­se­vor­schrif­ten im Sin­ne von Art. 115 Abs. 1 lit. a AuG im Vor­der­grund, oh­ne dass aber Wi­der­hand­lun­gen ge­gen Art. 115 Abs. 1 lit. b und c AuG (rechts­wid­ri­ger Auf­ent­halt, Er­werbs­tä­tig­keit oh­ne Be­wil­li­gung) aus­ge­schlos­sen wer­den konn­ten. Sol­che Ver­stös­se schie­nen viel­mehr eben­so wahr­schein­lich (Ent­scheid, S. 11). Die­ser Schluss der Vor­in­stanz ist nicht will­kür­lich. Er folgt aus der Ge­samt­si­tua­ti­on an­läss­lich der Kon­trol­le der Be­schwer­de­füh­re­rin (Ein­sat­zört­lich­keit der Po­li­zei in ei­ner ein­schlä­gi­gen "Kon­takt-Bar" im Kern­ge­biet des Stadt­zür­cher Mi­lieus; star­ke Al­ko­ho­li­sie­rung der Be­schwer­de­füh­re­rin; Wei­ge­rung, sich aus­zu­wei­sen; kei­ne Aus­weis­pa­pie­re). De­ren Ein­wand, nicht je­de Frau, die sich im "Chreis Cheib" die "Nacht um die Oh­ren schla­ge", sei ein "leich­tes Mäd­chen", ist nicht ge­eig­net, den vor­in­stanz­li­chen Schluss in Fra­ge zu stel­len (Be­schwer­de, S. 7). Mit der Vor­in­stanz kann oh­ne Will­kür da­von aus­ge­gan­gen wer­den, ge­gen­über der Be­schwer­de­füh­re­rin ha­be von An­be­ginn an ein (An­fangs-)Ver­dacht be­stan­den, sie wei­le oh­ne gül­ti­ge Pa­pie­re in der Schweiz und übe ei­ne nicht be­wil­lig­te Er­werbs­tä­tig­keit aus. Die er­mit­tel­ten Adress­da­ten von Frei­ern ste­hen dem­nach in di­rek­tem Zu­sam­men­hang mit den ab­zu­klä­ren­den Straf­ta­ten und stel­len kei­nen Zu­falls­fund dar.

3.

Die Be­schwer­de­füh­re­rin rügt ei­ne Ver­let­zung des Grund­sat­zes der Ak­ten­füh­rungs- und Do­ku­men­ta­ti­ons­pflicht (Art. 77 lit. g, Art. 100 Abs. 1 lit. b und Art. 192 StPO) so­wie der Ver­tei­di­gungs­rech­te im Sin­ne des recht­li­chen Ge­hörs. Die "Adress­lis­te der Frei­er" ha­be kei­nen Ein­gang in die Un­ter­su­chungs­ak­ten ge­fun­den. Es sei da­her nicht über­prüf­bar, wes­halb "of­fen­sicht­lich" von Frei­er-Da­ten ha­be aus­ge­gan­gen wer­den müs­sen. Nur wenn die da­mals bei ihr an­geb­lich si­cher­ge­stell­ten Kon­takt­da­ten von B.________ Rück­schlüs­se auf Pro­sti­tu­ti­on zu­ge­las­sen hät­ten, könn­te des­sen te­le­fo­ni­sche Kon­tak­tie­rung als zu­läs­si­ge Er­mitt­lungs­hand­lung be­zeich­net wer­den. Das po­li­zei­li­che Vor­ge­hen im Zu­sam­men­hang mit dem spä­te­ren Zeu­gen B.________ deu­te auf ei­ne il­le­ga­le Be­weis­aus­for­schung hin. Die feh­len­de Do­ku­men­tie­rung der Adres­sen in den Ak­ten ver­un­mög­li­che ihr, den "Ent­las­tungs­be­weis" zu er­brin­gen (Be­schwer­de, S. 9-12).

3.1 Zu den ele­men­ta­ren Grund­sät­zen des Straf­pro­zess­rechts ge­hört, dass Er­he­bun­gen im Rah­men des Ver­fah­rens ak­ten­kun­dig ge­macht wer­den (BGE 115 Ia 97 E. 4c). Aus dem An­spruch auf recht­li­ches Ge­hör (Art. 29 Abs. 2 BV) er­gibt sich der An­spruch auf Ak­ten­ein­sicht. Soll die­ser ef­fi­zi­ent wahr­ge­nom­men wer­den kön­nen, ist er­for­der­lich, dass al­les in den Ak­ten fest­ge­hal­ten wird, was zur Sa­che ge­hört und ent­scheid­we­sent­lich sein kann. Da­mit be­steht spie­gel­bild­lich zum Recht auf Ak­ten­ein­sicht ei­ne Ak­ten­füh­rungs- und Do­ku­men­ta­ti­ons­pflicht der Be­hör­den. Die­se sind ver­pflich­tet, al­le ver­fah­rens­re­le­van­ten Vor­gän­ge schrift­lich fest­zu­hal­ten und die Ak­ten voll­stän­dig und kor­rekt an­zu­le­gen und zu füh­ren. In ei­nem Straf­ver­fah­ren be­deu­tet dies, dass die Be­weis­mit­tel, je­den­falls so­weit sie nicht un­mit­tel­bar an der ge­richt­li­chen Haupt­ver­hand­lung er­ho­ben wer­den, in den Un­ter­su­chungs­ak­ten vor­han­den sein müs­sen und dass ak­ten­mäs­sig be­legt sein muss, wie sie pro­du­ziert wur­den, da­mit der Be­schul­dig­te in der La­ge ist zu prü­fen, ob sie in­halt­li­che oder for­mel­le Män­gel auf­wei­sen und ge­ge­be­nen­falls Ein­wän­de ge­gen de­ren Ver­wert­bar­keit er­he­ben kann. Dies ist Vor­aus­set­zung da­für, dass der Be­schul­dig­te sei­ne Ver­tei­di­gungs­rech­te wahr­neh­men kann (BGE 129 I 85 E. 4.1 S. 88 f. mit Hin­wei­sen; vgl. Ur­teil 6B_719/2011 vom 12. No­vem­ber 2012 E. 4.5).

Die Grund­sät­ze zur Ak­ten­füh­rungs- und Do­ku­men­ta­ti­ons­pflicht wer­den in der StPO kon­kre­ti­siert (vgl. Schmid, Hand­buch, a.a.O., S. 221 Rz. 566, Ders., Pra­xis­kom­men­tar, a.a.O., Vor Art. 76-99, Rz. 1; Mar­kus Schmutz, Schwei­ze­ri­sche Straf­pro­zess­ord­nung, Bas­ler Kom­men­tar, Art. 100 Rz. 1). Sie gel­ten (grund­sätz­lich) auch für das po­li­zei­li­che Er­mitt­lungs­ver­fah­ren (Bot­schaft, a.a.O., BBl 2006 S. 1155; Schmid, Hand­buch, a.a.O., S. 222 Rz. 568; Ders., Pra­xis­kom­men­tar, a.a.O., Art. 76 Rz. 2, 3; Art. 77 Rz. 4; Art. 307 Rz. 6).

3.2 Die "of­fen­sicht­li­chen Frei­er-Adres­sen" sind in den Ak­ten nicht ent­hal­ten (Ent­scheid, S. 15). Aus dem Po­li­zei- und Ver­haft­rap­port vom 28. Ja­nu­ar 2011 er­ge­ben sich le­dig­lich Hin­wei­se dar­auf, dass sol­che ge­fun­den wur­den (vgl. kan­to­na­le Ak­ten, act. 1 S. 3 so­wie act. 16/1 S. 2). Mit der Vor­in­stanz (Ent­scheid, S. 14 f.) ist da­von aus­zu­ge­hen, dass die Kon­takt­da­ten des spä­te­ren Zeu­gen B.________ ge­stützt auf die er­mit­tel­ten "of­fen­sicht­li­chen Frei­er-Adres­sen" eru­iert wur­den. Das er­gibt sich schon dar­aus, dass die Po­li­zei den Zeu­gen te­le­fo­nisch kon­tak­tier­te, un­mit­tel­bar nach­dem sie die Be­schwer­de­füh­re­rin an­ge­hal­ten und die Frei­er-Adres­sen ge­fun­den hat­te. Un­ter die­sen Um­stän­den sind kei­ne An­halts­punk­te er­sicht­lich, dass sich die Po­li­zei aufs Ge­ra­te­wohl mit dem Zeu­gen B.________ in Ver­bin­dung setz­te und Be­weis­er­he­bun­gen tä­tig­te, um ei­nen Tat­ver­dacht ge­gen­über der Be­schwer­de­füh­re­rin in Be­zug auf ei­ne all­fäl­li­ge nicht be­wil­lig­te Er­werbs­tä­tig­keit als Pro­sti­tu­ier­te über­haupt erst be­grün­den zu kön­nen. Die Po­li­zei ging viel­mehr ei­nem aus den si­cher­ge­stell­ten Adress­da­ten re­sul­tie­ren­den kon­kre­ten Hin­weis zum be­reits im Raum ste­hen­den Ver­dacht nach. Das ist we­der un­üb­lich noch un­zu­läs­sig. Der Vor­wurf, die te­le­fo­ni­sche Kon­tak­tie­rung des spä­te­ren Zeu­gen B.________ le­ge ei­ne un­zu­läs­si­ge Be­weis­aus­for­schung na­he, geht da­mit fehl. Dass die Po­li­zei die "of­fen­sicht­li­chen Frei­er-Adres­sen" nicht ak­ten­kun­dig mach­te und den In­halt des Te­le­fon­ge­sprächs mit dem Zeu­gen B.________ nicht in ei­ner Ak­ten­no­tiz pro­to­kol­lier­te, be­grün­det zwar al­len­falls ei­ne Ver­let­zung der Do­ku­men­ta­ti­ons­pflicht (wo­bei der Um­stand, dass die Po­li­zei den Zeu­gen B.________ te­le­fo­nisch kon­tak­tier­te, ak­ten­kun­dig ist [vgl. kan­to­na­le Ak­ten, act. 2, S. 1; act. 5, S. 7]). Dar­aus re­sul­tiert je­doch we­der ei­ne Ver­let­zung des Rechts auf ei­ne wirk­sa­me Straf­ver­tei­di­gung noch ein Ver­bot der Ver­wer­tung der "Frei­er-Adres­sen" und der Aus­sa­gen des Zeu­gen B.________. Der Be­schwer­de­füh­re­rin wur­de nicht ver­un­mög­licht, sich wirk­sam zu ver­tei­di­gen. Sie weiss, wie bzw. nach wel­chen Grund­sät­zen sie ih­re Adres­sen führt(e), und hät­te da­her gel­tend ma­chen kön­nen (und müs­sen), dass und wes­halb sich aus ih­ren Adress­da­ten kein Schluss auf "of­fen­sicht­li­che Frei­er-Adres­sen" zie­hen lässt. Über­dies mach­te der Zeu­ge B.________ an­läss­lich der staats­an­walt­schaft­li­chen Ein­ver­nah­me vom 4. Fe­bru­ar 2011 im Bei­sein der Be­schwer­de­füh­re­rin und ih­res Rechts­ver­tre­ters (auf de­ren Fra­gen hin) prä­zi­se An­ga­ben zum In­halt des po­li­zei­li­chen Te­le­fon­ge­sprächs. Dem­nach hat­te die Be­schwer­de­füh­re­rin auch hier­über Kennt­nis.

4.

Die Rü­gen der Be­schwer­de­füh­re­rin er­wei­sen sich als un­be­grün­det. Die Ge­nug­tu­ung be­an­tragt sie für den Fall des Frei­spruchs (Be­schwer­de, S. 11 f.). Da es bei der Ver­ur­tei­lung bleibt, ist dar­auf nicht wei­ter ein­zu­ge­hen.

5.

Die Be­schwer­de ist ab­zu­wei­sen. Die Kos­ten des Ver­fah­rens wä­ren bei die­sem Aus­gang der Be­schwer­de­füh­re­rin auf­zu­er­le­gen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie hat ein Ge­such um un­ent­gelt­li­che Rechts­pfle­ge ge­stellt, das gut­zu­heis­sen ist. Die Be­dürf­tig­keit ist aus­ge­wie­sen und die Be­schwer­de war nicht von vorn­her­ein aus­sichts­los. Da­her sind kei­ne Kos­ten zu er­he­ben (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der Ver­tre­ter der Be­schwer­de­füh­re­rin ist aus der Bun­des­ge­richts­kas­se zu ent­schä­di­gen (Art. 64 Abs. 2 BGG).

Dem­nach er­kennt das Bun­des­ge­richt:

1.

Die Be­schwer­de wird ab­ge­wie­sen.

2.

Das Ge­such um un­ent­gelt­li­che Rechts­pfle­ge und Ver­bei­stän­dung wird gut­ge­heis­sen. Der Be­schwer­de­füh­re­rin wird Rechts­an­walt Gre­gor Münch als un­ent­gelt­li­cher Rechts­bei­stand bei­ge­ge­ben.

3.

Es wer­den kei­ne Kos­ten er­ho­ben.

4.

Dem Rechts­ver­tre­ter der Be­schwer­de­füh­re­rin wird für das bun­des­ge­richt­li­che Ver­fah­ren ei­ne Ent­schä­di­gung von Fr. 3'000.-- aus der Bun­des­ge­richts­kas­se aus­ge­rich­tet.

5.

Die­ses Ur­teil wird den Par­tei­en und dem Ober­ge­richt des Kan­tons Zü­rich, I. Straf­kam­mer, schrift­lich mit­ge­teilt.

Lau­sanne, 14. Fe­bru­ar 2013

Im Na­men der Straf­recht­li­chen Ab­tei­lung

des Schwei­ze­ri­schen Bun­des­ge­richts

Der Prä­si­dent: Ma­thys

Die Ge­richts­schrei­be­rin: Ar­quint Hill

 

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