Staatstrojaner und uferlose Internet-Überwachung

27. Februar 2013

Im Jahr 2010 ge­lang­te ei­ne Re­vi­si­on des Bun­des­ge­set­zes be­tref­fend die Über­wa­chung des Post- und Fern­mel­de­ver­kehrs (BÜPF) in Ver­nehm­las­sung. Vor­ge­se­hen war ne­ben Staats­tro­ja­nern ei­ne Er­wei­te­rung der Spei­cher­frist der Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­da­ten von 6 auf 12 Mo­na­te, ei­ne Un­ter­stel­lung prak­tisch al­ler In­ter­net-An­bie­ter, z. B. Be­sit­zer von In­ter­net-Fo­ren oder In­ter­net-Ca­fes, aber auch Pri­vat­per­so­nen mit wire­less LAN, un­ter das Ge­setz, so­wie di­ver­se tech­nisch neue­re Me­tho­den wie An­ten­nen­such­lauf oder IM­SI-Cat­cher. Zu­dem soll­ten al­le er­fass­ten Da­ten zen­tral ge­spei­chert wer­den.

Die Ver­nehm­las­sungs­ant­wor­ten wa­ren zum Teil ge­har­nischt, auch grund­rech­te.ch hat den Ge­set­zes­ent­wurf rich­tig­ge­hend zer­pflückt.

Nach­dem das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt in Deutsch­land am 2. März 2010 die Vor­rats­da­ten­spei­che­rung ver­bot, hat die kri­mi­no­lo­gi­sche Ab­tei­lung des Max-Planck-In­sti­tuts für aus­län­di­sches und in­ter­na­tio­na­les Straf­recht im Auf­trag des (Deut­schen) Bun­des­am­tes für Jus­tiz un­ter­sucht, ob Pro­ble­me auf dem Ge­biet der Straf­ver­fol­gung und der Ge­fah­ren­ab­wehr in­fol­ge des Weg­falls aus­wer­tungs­fä­hi­ger Ver­kehrs­da­ten er­kenn­bar sind. Auf Sei­te 123 ist ein Ver­gleich der Auf­klä­rungs­ra­te von Ver­bre­chen und der Schweiz und Deutsch­land: «Bei al­ler ge­bo­te­nen Vor­sicht, die un­ter­schied­li­che De­liktsde­fi­ni­tio­nen, un­ter­schied­li­che Zähl­wei­sen etc. ge­bie­ten, lässt sich doch für die in der Ta­bel­le ent­hal­te­nen De­liktsbe­rei­che die Aus­sa­ge tref­fen, dass die Auf­klä­rungs­quo­te in Deutsch­land in kei­nem Fall un­ter den für die Schweiz mit­ge­teil­ten Auf­klä­rungs­quo­ten liegt. Viel­mehr lie­gen die Auf­klä­rungs­quo­ten teil­wei­se deut­lich hö­her. Dies gilt auch für sol­che De­lik­te, für die die be­son­de­re Be­deu­tung des Zu­griffs auf Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­kehrs­da­ten her­vor­ge­ho­ben wird (al­so Com­pu­ter­be­trug, Ver­brei­tung von Por­no­gra­fie (ein­schliess­lich Kin­der­por­no­gra­fie) oder Dro­hung.»

Gross ist da­her die Er­nüch­te­rung, nach­dem der Bun­des­rat En­de Fe­bru­ar 2013 den Ge­set­zes­ent­wurf von 2010 prak­tisch un­ver­än­dert als Bot­schaft zu­han­den der eid­ge­nös­si­schen Rä­ten ver­ab­schie­det hat.

Ein­zi­ge Kon­zes­sio­nen an die brei­te Kri­tik sind ein spe­zi­el­ler De­likt­ka­ta­log für den Ein­satz von Staats­tro­ja­nern und der Ver­zicht auf die For­de­rung, dass al­le In­ter­net­be­nut­zer iden­ti­fi­zier­bar sein müs­sen. Wie Pri­vat­per­so­nen mit wire­less LAN oder In­ter­net-Ca­fes mit Be­hör­den zu­sam­men­ar­bei­ten müs­sen, soll in ei­ner Ver­ord­nung durch den Bun­des­rat ge­re­gelt wer­den. Jetzt schon steht fest, dass bei un­ge­nü­gen­der Zu­sam­men­ar­beit Bus­se bis 100,000 Fran­ken droht.

Es liegt nun am Par­la­ment, die­se un­mög­li­che Ge­set­zes­vor­la­ge zu ver­sen­ken, als Ul­ti­ma Ra­tio bleibt sonst nur ein Re­fe­ren­dum

Mi­cro­soft hat mit der Pu­bli­ka­ti­on des «2012 Law En­force­ment Re­quests Re­port» erst­mals of­fen­ge­legt, aus wel­chen Län­dern und wie oft staat­li­che Be­hör­den Aus­künf­te über Nut­zer von In­ter­net-An­ge­bo­ten er­ba­ten. Die Schweiz er­scheint in die­sem Be­richt le­dig­lich im Zu­sam­men­hang mit der In­ter­net-Te­le­fo­nie Sky­pe, nicht aber mit an­de­ren Mi­cro­soft-Diens­ten, z. B. Hot­mail. Im Jahr 2012 lag die Schweiz in ab­so­lu­ten Zah­len mit 74 An­fra­gen hin­ter Gross­bri­tan­ni­en (1,268), USA (1,154), Deutsch­land (686), Frank­reich (402), Tai­wan (316), Aus­tra­li­en(195), Lu­xem­burg (98) und Ita­li­en (96) an neun­ter Stel­le. Ge­mes­sen an An­fra­gen pro ei­ne Mil­li­on Ein­woh­ner liegt die Schweiz mit 9.3 hin­ter Lu­xem­burg (196), Gross­bri­tan­ni­en (20.1), Tai­wan (13.6) und Mal­ta (12.3) gar an fünf­ter Stel­le, noch vor Aus­tra­li­en (8.9), Deutsch­land (8.4), Is­land (6.5) und Frank­reich (6.3). Ei­ne Auf­schlüs­se­lung nach an­fra­gen­den Be­hör­den fehlt lei­der. Die­se 74 Fäl­le wä­ren aber si­cher Kan­di­da­ten für ei­ne Über­wa­chung mit­tels Tro­ja­ner ge­we­sen, falls dies be­reits zu­ge­las­sen wä­re.

Am 2. und 3. Mai 2013 hat die Kom­mis­si­on für Rechts­fra­gen des Stän­de­ra­tes (RK-SR) Ein­tre­ten auf die Vor­la­ge be­schlos­sen, aber die De­tail­be­ra­tung auf ei­ne spä­te­re Sit­zung ver­scho­ben. In der Fol­ge wur­den nicht zu­letzt we­gen der vie­len ne­ga­ti­ven Ver­nehm­las­sungs­ant­wor­ten, auch von grund­rech­te.ch, di­ver­se An­hö­run­gen ab­ge­hal­ten. Die Be­hand­lung des Ge­schäfts wur­de aus der Som­mer­ses­si­on 2013 ge­stri­chen und wird erst im Jahr 2014 er­fol­gen. Im­mer­hin scheint es im Par­la­ment Wi­der­stand ge­gen die­se ufer­lo­se Be­spit­ze­lung zu ge­ben.

Die an­lass­lo­se Vor­rats­da­ten­spei­che­rung in der Eu­ro­päi­schen Uni­on (ver­gleich­bar mit BÜPF in der Schweiz) ver­stösst nach An­sicht ei­nes Gut­ach­ters am Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hof (EuGH) ge­gen die Grund­rech­te. Das geht aus ei­ner am 12. De­zem­ber in Lu­xem­burg ver­öf­fent­lich­ten Stel­lung­nah­me des zu­stän­di­gen Ge­ne­ral­an­walts Pe­dro Cruz Vil­la­lon für den EuGH her­vor. Nach Auf­fas­sung des Gut­ach­ters wi­der­spricht die EU-Richt­li­nie von 2006 zur Da­ten­spei­che­rung als Gan­zes der Grund­rech­te-Char­ta, so et­wa dem Recht auf Schutz der Pri­vat­sphä­re.

Am 10. De­zem­ber 2013 fand in Bern ein Ses­si­ons­an­lass der bei­den Par­la­men­ta­ri­er­grup­pen «ePower» und «Parl­di­gi» zum The­ma «Staats­si­cher­heit und Pri­vat­sphä­re», un­ter spe­zi­el­ler Be­rück­sich­ti­gung des BÜPF und des NDG, statt. Vik­tor Györf­fy, Prä­si­dent von grund­rech­te.ch, hat ein Ein­füh­rungs­re­fe­rat ge­hal­ten. IM­SI-Cat­cher sind wohl ei­ni­gen Me­di­en­leu­ten auf­ge­fal­len, ob­wohl sie nicht neu sind. Be­reits seit län­ge­rer Zeit be­wil­li­gen Zwangs­mass­nah­men­ge­rich­te de­ren Ein­satz. Am 15. De­zem­ber 2013 be­rich­te­te die «Schweiz am Sonn­tag» un­ter dem Ti­tel «Mo­bil­te­le­fon wird zum Spi­on der Po­li­zei» dar­über. Die Kan­tons­po­li­zei Zü­rich hat be­reits zwei IM­SI-Cat­cher be­schafft und will die­se ab 2014 ope­ra­tiv ein­set­zen, wie die NZZ nach­dop­pel­te.

Am 10. Ja­nu­ar 2014 teil­te die RK-S mit, dass sie oh­ne Ge­gen­stim­me der BÜPF-Re­vi­si­on zu­ge­stimmt ha­be. Am meis­ten Dis­kus­si­ons­stoff bo­ten die Über­wa­chungs­kos­ten, die Ent­schä­di­gun­gen an die Pro­vi­der wur­den kur­zer­hand ge­stri­chen. In der März-Ses­si­on soll das Ge­schäft in den Stän­de­rat kom­men.

Am 19. März 2014 nahm der Stän­de­rat mi­ni­me Än­de­run­gen an der Vor­la­ge vor und stimm­te ihr mit 30 zu 2 Stim­men bei 4 Ent­hal­tun­gen zu. Nun muss sich noch der Na­tio­nal­rat da­mit be­fas­sen.

 

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