Staatstrojaner: Mario Fehr ignorierte Urteil des Bundesgerichts

8. November 2015

Christof Moser, Schweiz am Sonntag

Obers­te Rich­ter wie­sen SP-Re­gie­rungs­rat Ma­rio Fehr auf die frag­wür­di­ge Rechts­grund­la­ge für Spio­na­ge-Soft­ware hin

Die Tro­ja­ner-Af­fä­re um den Zür­cher Si­cher­heits­di­rek­tor Ma­rio Fehr er­reich­te in die­sen Ta­gen ei­nen neu­en Hö­he­punkt. Nach­dem pu­blik ge­wor­den war, dass Fehr we­gen der Ju­so-Straf­an­zei­ge sei­ne SP-Mit­glied­schaft sis­tiert hat, hol­te der Re­gie­rungs­rat die­se Wo­che zum Ge­gen­schlag aus - und stell­te Be­din­gun­gen für sei­ne Rück­kehr zur SP: «Die Ju­so müs­sen von der Straf­an­zei­ge Ab­stand neh­men. Und die Par­tei muss ein sol­ches Vor­ge­hen mit Sank­tio­nen be­le­gen», sag­te Fehr in In­ter­views mit «NZZ» und «Schwei­zer Il­lus­trier­ten».

Hin­ter­grund der Aus­ein­an­der­set­zung ist weit mehr als ein par­tei­in­ter­ner Zwist. Die Af­fä­re dreht sich um Grund­rechts­fra­gen im­men­ser Trag­wei­te. 2014 hat­te Fehr dem Kauf ei­ner um­strit­te­nen Über­wa­chungs­soft­ware, be­kannt als «Staats­tro­ja­ner» oder «Gov­Wa­re», zu­ge­stimmt. Der Tro­ja­ner «Ga­li­leo» gibt der Po­li­zei die Mög­lich­keit, auf Han­dys und Com­pu­tern von Tat­ver­däch­ti­gen nicht nur E-Mails, Sky­pe-Ge­sprä­che und Chats zu über­wa­chen, son­dern auch Da­ten zu ma­ni­pu­lie­ren. In ei­ner in­ter­nen Prä­sen­ta­ti­on wies die ita­lie­ni­sche Her­stel­ler­fir­ma dar­auf hin, dass ihr Spio­na­ge­pro­gramm zum Bei­spiel un­be­merkt Kin­der­por­no­gra­fie auf den Ziel­rech­ner ei­nes Ver­däch­ti­gen hoch­la­den kann.

Der Kauf der Spio­na­ge-Soft­ware, für die nach ju­ris­ti­scher Lehr­mei­nung kei­ne ge­setz­li­che Grund­la­ge exis­tiert, soll­te ge­heim blei­ben. Auf­ge­flo­gen ist die An­schaf­fung durch die Zür­cher Be­hör­den, weil die Her­stel­ler­fir­ma des Tro­ja­ners ge­hackt wur­de und auf der da­durch pu­blik ge­wor­de­nen Kun­den­lis­te ne­ben to­ta­li­tä­ren Re­gimes die Zür­cher Kan­tons­po­li­zei auf­tauch­te. Da­tiert auf den 24. De­zem­ber 2014, stell­te die Fir­ma «Hacking Team» der Po­li­zei für den Staats­tro­ja­ner 486,000 Eu­ro in Rech­nung, zu­züg­lich Mehr­wert­steu­er. Längst nicht nur die Jung­so­zia­lis­ten nah­men an der klan­des­ti­nen An­schaf­fung An­stoss. Weil sich Fehr trotz Ge­sprächs­ver­su­chen nicht dia­log­be­reit zeig­te, griff die SP-Jung­par­tei - «stink­sau­er» über den «An­griff auf De­mo­kra­tie und Frei­heit» - zu ei­nem un­ge­wöhn­li­chen Mit­tel und zeig­te den ei­ge­nen Re­gie­rungs­rat we­gen Amts­miss­brauch so­wie un­recht­mäs­si­ger Da­ten­be­schaf­fung an.

In sei­nen In­ter­views die­se Wo­che stell­te sich Ma­rio Fehr wei­ter­hin auf den Stand­punkt, dass die ge­setz­li­che Grund­la­ge für den Ein­satz von «Gov­Wa­re» ge­ge­ben sei - und führ­te als Kron­zeu­gin Jus­tiz­mi­nis­te­rin Si­mo­net­ta Som­maru­ga ins Feld, die in der Par­la­ments­de­bat­te zur lau­fen­den Re­vi­si­on des Bun­des­ge­set­zes über die Über­wa­chung des Post- und Fern­mel­de­ver­kehrs (Büpf) ge­sagt ha­be, dass ei­ne ge­setz­li­che Grund­la­ge für den Ein­satz der Staats­tro­ja­ner be­ste­he.

Auf An­fra­ge der «Schweiz am Sonn­tag» prä­zi­siert die Zür­cher Si­cher­heits­di­rek­ti­on, auf wel­che Aus­sa­ge von Som­maru­ga sich Ma­rio Fehr be­zieht. Spre­cher Urs Grob ver­weist auf die von Som­maru­ga am 10. März 2014 im Stän­de­rat ge­äus­ser­ten Sät­ze, be­zo­gen auf Kom­mu­ni­ka­ti­ons-Über­wa­chung: «Das ist heu­te schon mög­lich. Es ist auch nicht so, dass wir ir­gend­wel­che neu­en Über­wa­chungs­mass­nah­men be­schlies­sen wür­den.»

Die­se Aus­sa­ge steht je­doch in kei­ner­lei Zu­sam­men­hang mit «Gov­Wa­re» und blen­det al­le Aus­sa­gen der Jus­tiz­mi­nis­te­rin aus, die sich kon­kret auf Staats­tro­ja­ner be­zie­hen. Am 22. 9. 2014 sag­te Som­maru­ga in der Fra­ge­stun­de des Na­tio­nal­rats: «Es ist selbst­re­dend, dass die Gov­Wa­re nur zur An­wen­dung kom­men kann, wenn die vor­ge­se­he­ne Be­stim­mung im Ent­wurf des Büpf in Kraft ge­tre­ten ist.» Und am 17. 6. 2015 sag­te sie in den Be­ra­tun­gen zum Büpf im Na­tio­nal­rat: «Man hat sich dar­über ge­strit­ten, ob es für den Ein­satz von Gov­Wa­re heu­te ei­ne ge­setz­li­che Grund­la­ge gibt. Die Fra­ge ist bis heu­te um­strit­ten ge­blie­ben.» Ent­spre­chend klar de­men­tiert das Jus­tiz­de­par­te­ment (EJPD) die Aus­sa­ge von SP-Re­gie­rungs­rat Fehr: «Bun­des­prä­si­den­tin Si­mo­net­ta Som­maru­ga hat im Par­la­ment die ge­setz­li­che Grund­la­ge von Staats­tro­ja­nern stets als um­strit­ten be­zeich­net», sagt Som­maru­ga-Spre­cher Gui­do Bal­mer auf An­fra­ge der «Schweiz am Sonn­tag».

Oh­ne Kron­zeu­gin Si­mo­net­ta Som­maru­ga wird die recht­li­che Grund­la­ge, auf die sich Fehr und die Zür­cher Be­hör­den be­zie­hen, noch wack­li­ger, als sie oh­ne­hin ist. Als Rechts­grund­la­ge für Tro­ja­ner-Ein­sät­ze wer­den die Ar­ti­kel 269 und 280 der Straf­pro­zess­ord­nung (StPO) her­an­ge­zo­gen, die es bei schwe­ren Straf­ta­ten er­lau­ben, «den Post- und den Fern­mel­de­ver­kehr über­wa­chen zu las­sen» und «tech­ni­sche Über­wa­chungs­ge­rä­te» ein­zu­set­zen, um «Vor­gän­ge an nicht öf­fent­li­chen oder nicht all­ge­mein zu­gäng­li­chen Or­ten zu be­ob­ach­ten».

Doch selbst Ju­ris­ten, die Staats­tro­ja­ner grund­sätz­lich be­für­wor­ten, hal­ten die­se Grund­la­ge für nicht aus­rei­chend. Da­zu ge­hört Tho­mas Hans­ja­kob, Ers­ter St. Gal­ler Staats­an­walt und ehe­ma­li­ger SP-Kan­tons­rat, der be­reits 2011 in ei­ner ju­ris­ti­schen Ein­schät­zung zum Schluss kommt, dass die Ar­ti­kel in der Straf­pro­zess­ord­nung le­dig­lich nor­ma­le Te­le­fon­über­wa­chung so­wie akus­ti­sche und op­ti­sche Ab­hör­ge­rä­te er­lau­ben. Spio­na­ge­soft­ware, mit der die Com­pu­ter von Ver­däch­ti­gen ma­ni­pu­liert wer­den kön­nen, sei­en «of­fen­sicht­lich von der Ein­griffs­tie­fe her et­was an­de­res». Hans­ja­kobs Fa­zit: Staats­tro­ja­ner sei­en der­zeit man­gels ge­setz­li­cher Grund­la­ge «nicht zu­läs­sig».

Mit die­ser Be­wer­tung ist er nicht al­lein. Seit 2011 die neue Straf­pro­zess­ord­nung in Kraft ge­tre­ten ist, ver­zich­tet die Bun­des­an­walt­schaft auf «Gov­Wa­re», die sie zu­vor in ei­ner ju­ris­ti­schen Grau­zo­ne zum Ein­satz brach­te. Auch der Zür­cher Re­gie­rungs­rat kam 2010 - ein Jahr vor Fehrs Wahl ins Gre­mi­um - zum Schluss, dass ei­ne aus­drück­li­che ge­setz­li­che Re­ge­lung «not­wen­dig» sei, um das «Set­zen von Tro­ja­nern» zu er­mög­li­chen.

Jetzt zei­gen neue Do­ku­men­te, die der «Schweiz am Sonn­tag» vor­lie­gen, dass auch das Bun­des­ge­richt Si­cher­heits­di­rek­tor Ma­rio Fehr auf die frag­wür­di­ge ge­setz­li­che Grund­la­ge für Tro­ja­ner hin­ge­wie­sen hat - just in je­ner Zeit, in der Fehr den Kauf der Soft­ware be­wil­lig­te.

Die kri­ti­sche Ein­schät­zung des Bun­des­ge­richts geht auf ei­ne Be­schwer­de ge­gen das 2012 vom Zür­cher Kan­tons­rat ver­ab­schie­de­te und 2013 vom Zür­cher Re­gie­rungs­rat in Kraft ge­setz­te Po­li­zei­ge­setz (PolG/ZH) zu­rück, das die ge­setz­li­che Grund­la­ge für Über­wa­chung von Echt­zeit­kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­teln - zum Bei­spiel Chats - bei prä­ven­ti­ven Vor­er­mitt­lun­gen schaf­fen soll­te. Ei­ne Pri­vat­per­son reich­te am Bun­des­ge­richt da­ge­gen Be­schwer­de ein, weil das Ge­setz ge­gen ver­fas­sungs­mäs­si­ge Grund­rech­te ver­stos­se. Kon­kret be­män­gel­te der Be­schwer­de­füh­rer, dass Über­wa­chun­gen des Fern­mel­de­ver­kehrs den An­for­de­run­gen von Ar­ti­kel 179 im Straf­ge­setz­buch (StGB) ge­nü­gen müs­sen, der ei­ne rich­ter­li­che Ge­neh­mi­gung für Über­wa­chungs­mass­nah­men ver­lan­ge. Im Zür­cher Po­li­zei­ge­setz war in Ar­ti­kel 32 f. nur ei­ne Ge­neh­mi­gung durch ein Po­li­zei­ka­der fest­ge­schrie­ben.

Am 1. Ok­to­ber 2014 kippt das Bun­des­ge­richt Ar­ti­kel 32 f. des Zür­cher Po­li­zei­ge­set­zes. In der Ur­teils­be­grün­dung ma­chen die höchs­ten Rich­ter ei­ne ent­schei­den­de Be­mer­kung: Es sei «zu­min­dest frag­lich, in­wie­weit Art. 179 StGB auf die Über­wa­chung mit­tels Com­pu­ter­pro­gram­men an­wend­bar ist». Aus­drück­lich wei­sen die Rich­ter auf ei­nen mass­ge­ben­den Ge­set­zes­kom­men­tar der Rechts­an­wäl­te Pe­ter von Ins und Pe­ter-René Wy­der hin, die 2013 zu Ar­ti­kel 179 oc­ties StGB fest­hiel­ten: «Für ei­nen Ein­satz von Tro­ja­ner­soft­ware durch Über­wa­chungs­be­hör­den (...) ist ei­ne aus­drück­li­che ge­setz­li­che Grund­la­ge in der StPO zu for­dern. Die­se fehlt zur­zeit.» Tro­ja­ner sei­en «nicht oh­ne wei­te­res zu den durch Be­hör­den nutz­ba­ren Über­wa­chungs­ge­rä­ten zu zäh­len», weil sie «qua­si per Maus­klick ei­ne viel weit­ge­hen­de­re und ver­tief­te­re Über­wa­chung er­lau­ben als Te­le­fon­mit­schnit­te oder Wan­zen».

Al­ler­spä­tes­tens mit die­sem Bun­des­ge­richts­ur­teil hät­te Ma­rio Fehr wis­sen kön­nen und müs­sen, dass die Rechts­grund­la­ge für Staats­tro­ja­ner mehr als frag­wür­dig ist. Ge­gen­über der «Schweiz am Sonn­tag» woll­te die Si­cher­heits­di­rek­ti­on mit Ver­weis auf die hän­gi­ge Straf­an­zei­ge kei­ne Stel­lung neh­men. Auch die Ju­so woll­ten die Re­cher­chen nicht kom­men­tie­ren. Ob sie die Straf­an­zei­ge ge­gen Fehr ans Bun­des­ge­richt wei­ter­zie­hen, ist of­fen.

Für Re­gie­rungs­rat Fehr ist die Sa­che al­lein des­halb nicht aus­ge­stan­den, weil ei­ne Sub­kom­mis­si­on der kan­tons­rät­li­chen Ge­schäfts­prü­fungs­kom­mis­si­on die Tro­ja­ner-Af­fä­re der­zeit un­ter­sucht. Kei­ne Chan­ce hat­te die­se Wo­che in der Ge­schäfts­lei­tung des Kan­tons­rats der An­trag auf Auf­he­bung von Fehrs Im­mu­ni­tät. Be­reits im Sep­tem­ber hat­te die Zür­cher Staats­an­walt­schaft mit­ge­teilt, kei­ne Er­mitt­lun­gen ge­gen Fehr ein­zu­lei­ten. Da­mit ist auch die von den Ju­so ge­for­der­te Un­ter­su­chung durch aus­ser­kan­to­na­le Be­hör­den vom Tisch. Die Ju­so hat­ten ge­gen die Staats­an­walt­schaft ei­nen Be­fan­gen­heits­an­trag ge­stellt, weil die Er­mitt­lungs­be­hör­de selbst den Kauf des Tro­ja­ners in­vol­viert ist - sie hat­te die An­schaf­fung beim Ober­ge­richt be­an­tragt.

«Ich neh­me die Grund­rech­te der ehr­li­chen Bür­ge­rin­nen und Bür­ger sehr ernst»: Mit die­sen Wor­ten ver­tei­dig­te Fehr den Tro­ja­ner-Kauf. Ob die ehr­li­chen Bür­ger da­für auch den Bruch von gel­ten­dem Recht in Kauf neh­men, wird für Ma­rio Fehr jetzt zur Schick­sals­fra­ge.

 

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