Verheimlichte Beweismittel und ein toter Drogenboss

22. Oktober 2015

Thomas Knellwolf, Tagesanzeiger

Urner Oberstaatsanwälte hintergingen im Fall Ignaz Walker das Gericht. Sie müssen mit einem Strafverfahren rechnen.

Personen, die im Kanton Uri für die Verfolgung von Verbrechen zuständig sind, haben sich mutmasslich selber strafbar gemacht. Heute hat der Verteidiger des Cabaretbetreibers Ignaz Walker während einer Gerichtsverhandlung eine Strafanzeige erstattet, die gut begründet scheint. Der Zürcher Rechtsanwalt Linus Jaeggi wirft Urner Oberstaatsanwälten Amtsmissbrauch und Urkundendelikte vor. Die TV-Sendung «Rundschau» hatte zuvor mit einer Vorabmeldung enthüllt, dass die Staatsanwaltschaft in Altdorf wusste, wo ein gesuchter Kronzeuge zu suchen und zu finden war – während dieselben Strafverfolger steif und fest behaupteten, der Mann sei unauffindbar.

Gesucht war der Holländer Johannes Peeters, eine schillernde Figur. Er hatte am 4. Januar 2010 stockbetrunken ausgesagt, Ignaz Walker habe in Erstfeld auf ihn geschossen. Der bestreitet die Tat bis heute. Er sagte aus, dass Peeters ihn ein paar Tage später aufgesucht habe, um sich für die falsche Anschuldigung zu entschuldigen. Der Holländer, so beteuert Walker, habe ihm erklärt, er habe gelogen, weil ihn die Polizei unter Druck gesetzt habe. Doch dazu und zu anderen Merkwürdigkeiten wurde Peeters nie befragt.

Trotzdem wurde Cabaretbetreiber Walker wegen der Schüsse auf den Holländer und eines angeblichen Auftrags an einen Killer, Walkers damalige Ehefrau umzubringen, vom Urner Obergericht zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt.

Das grosse Geheimnis

Wiederholt hatte die Urner Justiz behauptet, Peeters sei unauffindbar. Noch Anfang Woche, zum Auftakt des Revisionsprozesse im von Pleiten und Pannen geprägten Fall, tat dies das Obergericht. Spätestens da hätte Oberstaatsanwalt Thomas Imholz das Wort ergreifen müssen. Doch entweder wusste er nicht, was in seiner kleinen Behörde (vier Staatsanwälte) läuft, oder er gab ein grosses Geheimnis nicht preis.

Bereits 2013 hatte seine Staatsanwaltschaft Informationen zu Peeters auf dem Silbertablett serviert bekommen. Der Holländer sass in Nordfrankreich hinter Gittern, weil er Kopf einer Drogenhändlerbande war, die aus Holland Stoff nach Zürich und Uri schmuggelte. Ermittler aus der Nordfrankreich forderten in der Schweiz Rechtshilfe an. Und das Bundesamt für Justiz delegierte die Sache nach Uri.

Im Juli 2013 gab die Urner Staatsanwaltschaft Unterlagen für die französischen Kollegen frei. Im Monat danach behauptete der damalige Urner Oberstaatsanwalt Bruno Ulmi, man wisse nicht, wo Peeters sich aufhalte. In seinem Schreiben ans Urner Obergericht, das Tagesanzeiger.ch/Newsnet vorliegt, verstieg sich Ulmi sogar zur Behauptung, dass der Holländer in einen Drogenring-Geschichte verwickelt sei, seien «wilde Spekulationen und Fantasiegeschichten» von Walkers Verteidiger Linus Jaeggi. Diese seien «wahrheits- und aktenwidrig».

Hohe Entschädigung gefordert

Für Verteidiger Jaeggi ist die neueste Enthüllung eine Steilvorlage. In seinem Plädoyer am Mittwoch verwies er darauf, dass das Bundesgericht verlangt hatte, dass die Urner Justiz alles unternehmen müsse, um Peeters vor Gericht zu befragen. Doch weder Ex-Oberstaatsanwalt Bruno Ulmi noch sein ehemaliger Stellvertreter und Nachfolger Thomas Imholz reagierten. Ulmi, neu Staatsanwalt in Graubünden, bestätigte Tagesanzeiger.ch/Newsnet, dass zumindest einer der beiden von den französischen Ermittlungen wusste: «Rechtshilfeersuchen sind immer über mein Pult gegangen – oder, wenn ich in den Ferien war, über den Pult meines Stellvertreters».

Nach Ansicht von Experten und des Verteidigers Jaeggi darf das Obergericht Peeters Aussagen nun nicht mehr belastend verwerten. Damit entfällt das zentralste Indiz, das noch gegen Walker sprach. Jaeggi führte aus, warum er ein Komplott gegen seinen Mandaten für wahrscheinlicher hält. Dazu gehört, dass sich die Spurenlage nach dem angeblichen Mordanschlag auf Walkers Ex-Gattin nicht mit den Aussagen der Frau in Einklang bringen lässt. Allerdings, so trug ein Zürcher Schusswaffenexperte zu seinem Gutachten nach, ist es auch nicht sehr wahrscheinlich, dass der Angriff mit einer Pistole inszeniert wurde – wenn man von grosser Dunkelheit in der Tatnacht ausgeht. Mehr Sinn würde es für den Forensiker machen, wenn tatsächlich von einem Killer auf die Frau gezielt worden wäre, die sich viel langsamer bewegte, als Walkers Ex-Frau ausgesagt hatte.

Jaeggi verlangt für Walker einen Freispruch und eine Genugtuung und Entschädigung für vier Jahre ungerechter Haft. Oberstaatsanwalt Imholz plädiert am Montag, wobei man besonders gespannt sein darf auf seine Erklärungen zum angeblich verschollenen Holländer. Befragen kann man den Kronzeugen nun nicht mehr. Johannes Peeters ist kürzlich an Krebs gestorben.

 

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