Henning Steier, NZZ
Aktivisten wollen die Vorratsdatenspeicherung beenden lassen, weil sie ihrer Ansicht nach mit Grundrechten wie dem Schutz der Privatsphäre kollidiert. In Bern sieht man wenig Spielraum.
Die Digitale Gesellschaft hat beim zuständigen Dienst Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr (Dienst ÜPF) ein Gesuch auf Unterlassung der Vorratsdatenspeicherung eingereicht. Wie sie in einer Medienmitteilung schreibt, wird sie diese gegebenenfalls bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) weiterziehen. Begründet wird die Beschwerde damit, dass die gesamte Bevölkerung in der Schweiz unter Generalverdacht gestellt werde, kriminell zu sein. Das sei unwürdig für einen freiheitlichen Staat wie die Schweiz.
Hintergrund ist, dass hierzulande alle Anbieter von Post- und Fernmeldediensten alle Metadaten der gesamten Kommunikation ihrer Nutzerinnen und Nutzer speichern und diese Vorratsdaten während mindestens sechs Monaten den Behörden zur Verfügung stellen müssen. Basis für die Vorratsdatenspeicherung ist das Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF). Aus den Daten lässt sich beispielsweise herauslesen, wer wann und wo mit wem telefoniert hat. Nach Ansicht der Digitalen Gesellschaft kollidiert die flächendeckende und verdachtsunabhängige Überwachung durch die Vorratsdatenspeicherung mit verschiedenen Grundrechten gemäss Bundesverfassung und Europäischer Menschenrechtskonvention (EMRK): «Neben dem Recht auf Schutz der Privatsphäre und dem Fernmeldegeheimnis sind auch die freie Meinungsäusserung und die Unschuldsvermutung betroffen. Im Umgang mit Ärzten, Rechtsanwältinnen, Pfarrern und Journalistinnen sind ausserdem Verschwiegenheitspflichten sowie der Quellenschutz gefährdet.»
Verlängerung der Vorratsdatenspeicherung unnötig
Die Digitale Gesellschaft ist nach eigenen Angaben ein offener Zusammenschluss netzpolitisch interessierter Gruppen und Einzelpersonen. Die Beschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung wird laut Mitteilung unter anderem durch die Wau Holland Stiftung, den Verein grundrechte.ch, den Chaos Computer Club Zürich (CCCZH), die Swiss Privacy Foundation, die Enter AG (Hartwig Thomas) und die Swiss Internet User Group (SIUG) ermöglicht. Beschwerdeführer sind beispielsweise Balthasar Glättli (Nationalrat Grüne), Dominique Strebel (Journalist und Studienleiter an der Schweizer Journalistenschule MAZ in Luzern) und Norbert Bollow (Mediensprecher der Digitalen Gesellschaft). Sie werden durch den Zürcher Anwalt Viktor Györffy vertreten.
Hintergrund der Beschwerde ist auch, dass der Bundesrat im Februar 2013 die Botschaft und den Entwurf zur Revision des Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) sowie der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO) verabschiedet hat. In der kommenden Frühjahressession im März wird darüber beraten. «In der Botschaft des Bundesrats zum neuen BÜPF steht einzig, dass die Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung der Kriminalität unerlässlich sei», kritisierte die Digitale Gesellschaft in einem Blogeintrag vom Januar. Die Verdopplung der Aufbewahrungsfrist sei nicht zielführend und deshalb unnötig.
ÜPF wohl ohne Spielraum
«Der Dienst ÜPF führt auf Anordnung der Strafverfolgungsbehörden Fernmeldeüberwachungen durch. Das bedeutet: Er holt bei den Fernmeldedienstanbieterinnen (FDA) jene Daten ein, welche die Strafverfolgungsbehörden anfordern, um Verbrechen aufzuklären», sagte ÜPF-Sprecher Nils Güggi der NZZ, «bei einer rückwirkenden Überwachung (rückwirkende Abfrage der Verkehrsdaten) ist die Anordnung der Staatsanwaltschaft und eine richterliche Genehmigung notwendig. Die FDA wiederum sind aufgrund von Art. 15 BÜPF verpflichtet die Verkehrsdaten 6 Monate lang zu speichern. Der Dienst ÜPF hat im konkreten Fall aufgrund von Art. 13 Abs. 1 lit. e BÜPF die Pflicht, die Verkehrsdaten entgegenzunehmen und sie der Strafverfolgungsbehörde weiterzuleiten.» Oder einfacher ausgedrückt: «Die gesetzlichen Vorschriften lassen dem Dienst ÜPF - nach einer ersten summarischen Prüfung - vermutlich keinen Spielraum, um den Gesuchen der Digitalen Gesellschaft entgegenzukommen. Sie widersprechen den gesetzlichen Vorschriften.»
Martin Steiger, Zürcher Anwalt und Mitglieder der Digitalen Gesellschaft, sagte der NZZ hingegen dazu: «Die Schweizerische Bundesverfassung sieht - selbstverständlich - vor, dass staatliches Handeln im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein muss. Grundrechte im Besonderen dürfen dabei nur eingeschränkt werden, wenn dafür (1) eine gesetzliche Grundlage besteht, (2) das öffentliche Interesse überwiegt und (3) die Einschränkungen verhältnismässig sind. Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar. Vergleichbare Bestimmungen finden sich in der Europäischen Menschenrechtskonvention.» In seiner Antwort beziehe sich der Dienst ÜPF ausdrücklich nur auf die gesetzliche Grundlage. Und in ihrer Beschwerde stelle die Digitale Gesellschaft auch diese gesetzliche Grundlage infrage.
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